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Foto: Zwei Erwachsenenhände halten einen stilisierten Kopf mit eingezeichneter EEG-Grafik, Elektroenzephalografie.
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Epilepsie – ein Interview

Im Folgenden lesen Sie ein Interview mit Frau Doris Wittig-Moßner. Sie ist seit vielen Jahren in der Selbsthilfe engagiert, hat 1999 mit anderen Eltern in Nürnberg eine Eltern-Selbsthilfegruppe gegründet und ist seit 2012 Erste Vorsitzende des Landesverbands Epilepsie Bayern e. V.

Wie weit verbreitet ist Epilepsie und welche Anzeichen gibt es?

Der Begriff Epilepsie beschreibt eine Erkrankung des Gehirns, die sich in Form von epileptischen Anfällen äußert. Epileptische Anfälle sind kurze vorübergehende Funktionsstörungen des Gehirns aufgrund vermehrter synchroner Entladungen, ähnlich denen eines Gewitters.

Etwa ein Prozent der Bevölkerung ist davon betroffen – unabhängig von Geschlecht, Kultur, Hautfarbe oder sozialer Herkunft. Grundsätzlich kann jeder Mensch zu jeder Zeit in jedem Alter einen epileptischen Anfall bekommen. Epilepsie ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen des Nervensystems und eine rein organische Störung.

Mehr als die Hälfte der Neuerkrankungen tritt im Kindes- und Jugendalter, also in den ersten beiden Lebensjahrzehnten auf. Im Babyalter erkranken etwa 80 bis 100 von 100.000 Säuglingen neu an einer Epilepsie, zwischen 10 und 20 Jahren sind es noch 50 von 100.000 Kindern bzw. Jugendlichen.
Die Mehrzahl der Betroffenen kann ein völlig normales, aktives und unabhängiges Leben ohne Einschränkung der Lebensqualität führen.

Wie erkenne ich, dass mein Kind Epilepsie hat?

Es gibt zahlreiche Formen von epileptischen Anfällen, die sehr unterschiedlich aussehen können – von kurzen Bewusstseinspausen (Absencen), Verwirrtheitszuständen, sinnlosen Handlungen (z. B. zielloses und planloses Umhergehen, Nesteln an Kleidungsstücken), kurzen isolierten Muskelzuckungen/ -Verkrampfungen bis hin zu großen Anfällen mit Sturz und Bewusstseinsverlust (Grand Mal).
Bei Unsicherheit, ob solche Episoden einen epileptischen Ursprung haben, ist es ratsam, eine Neuropädiaterin oder einen Neuropädiater (= Kinderneurologin oder Kinderneurologe) oder eine Epilepsie-Ambulanz bzw. das nächstgelegene SPZ (= Sozialpädiatrische Zentrum) aufzusuchen, die entsprechende Untersuchungen zur Diagnosestellung vornehmen können (z. B. ein sogenanntes EEG = Elektroenzephalogramm/Hirnstromuntersuchung). Bei schwierigen Fällen kann auch eine Überweisung in ein Epilepsiezentrum hilfreich sein.

Woher kommt Epilepsie, was löst sie aus? Ist Epilepsie heilbar?

Die Gründe, an einer Epilepsie zu erkranken, sind sehr verschieden (z. B. Schädel-Hirn-Trauma, Tumor, angeborene Hirnfehlbildungen, entzündliche Krankheiten des Gehirns, Schlaganfall etc.). In etwa 50 Prozent der Fälle kann trotz umfassender Diagnostik keine konkrete Ursache gefunden werden.
Mit Medikamenten bzw. durch eine Operation werden ca. 70 Prozent der Betroffenen langfristig anfallsfrei.
Neben den Ursachen gibt es aber auch bestimmte Auslöser, die epileptische Anfälle bei Menschen mit, aber auch ohne Epilepsie provozieren können. Dazu zählen u. a. Schlafmangel, Fieber, hormonelle Schwankungen (z. B. während der Menstruation), Alkohol-/Medikamenten-/Drogenentzug oder eine bestehende Fotosensibilität (z. B. Flackerlicht in der Disko, Sonnenlichteinfall beim Durchfahren einer Allee oder blitzschnell wechselnde Hell-Dunkel-Kontraste bei Videospielen).

Wie helfe ich meinem Kind konkret bei einem Anfall?

  • Ruhe bewahren!
  • Anfall genau beobachten; darauf achten, ob die Augen offen oder geschlossen sind
  • Anfallsdauer: in der Regel 1–3 Minuten; auf die Uhr sehen!
  • So lange beim Kind bleiben, bis es wieder vollständig orientiert ist

  • Gefährliche Gegenstände entfernen, Brille abnehmen, etwas Weiches unter den Kopf legen
  • Kind evtl. aus dem Gefahrenbereich holen; am Oberkörper fassen, nie nur an Händen/Armen
  • Nicht versuchen, den Kiefer zu öffnen oder gewaltsam Gegenstände zwischen die Zähne zu schieben!
  • Nicht versuchen, die Arme oder Beine festzuhalten (Verletzungsgefahr)
  • Keine Beatmung!
  • Beengende Kleidung lockern; sobald möglich, in die stabile Seitenlage drehen und vor Unterkühlung schützen

  • Bei Verletzungen
  • Bei Wiederholung eines großen Anfalls
  • Bei einer Anfallsdauer von mehr als 5 Minuten
  • Bei Unklarheit, ob der Anfall im Rahmen einer anderen Erkrankung aufgetreten ist (z. B. Unterzuckerung bei Diabetes)
  • Wenn die Verwirrtheit länger als eine halbe Stunde andauert und der Betreffende nicht kontaktfähig ist

Welche Auswirkung hat die Diagnose einer Epilepsie auf mein Kind? Was müssen Eltern beachten?

Kann mein Kind beispielsweise trotzdem normal zur Schule gehen etc.?
Sichtbar ist die Erkrankung in der Regel nur in der kurzen Zeit während eines Anfalls. Da viele Anfälle unbewusst ablaufen und von der betroffenen Person nicht bemerkt werden, werden Kinder und Jugendliche oft erst durch die Reaktion der Erwachsenen und dem besorgten Verhalten des Umfelds verunsichert. Viele Bedenken, Ängste und Verunsicherungen beruhen auf fehlenden oder falschen Informationen über das Krankheitsbild.

Während der Schulzeit sind deshalb offen informierende Eltern und eine gut informierte Lehrkraft die besten Begleiterinnen und Begleiter epilepsiekranker Kinder und Jugendlicher in ein eigenverantwortliches, selbstständiges Leben.
Kinder und Jugendliche mit Epilepsie können genauso leistungsfähig und intelligent sein wie andere auch. Sie werden daher an allen Schulformen und Schularten unterrichtet – entsprechend ihrer Fähigkeiten.

Das Interview führte Christine Bulla von der Webseite www.baer.bayern.de mit Doris Wittig-Moßner.