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Was versteht man generell unter dem Begriff des "Digitalen Kinderzimmers"?

Was es beim "digitalen Kinderzimmer" zu beachten gibt, erklärt Jacqueline Hain von der Servicestelle Kinder- und Jugendschutz.

Jacqueline Hain: Unter dem Begriff des "Digitalen Kinderzimmers" werden aktuelle, innovative, smarte und digitale Spielzeuge und Technologien verstanden, die mehr und mehr die Kinderzimmer erobern. Dazu gehören smarte und vernetzte Spielwaren ebenso wie Tracker und Software, zum Beispiel zur Überwachung des Standorts, der Vitalwerte oder des Schlafverhaltens von Heranwachsenden.

Die Technologien bieten einerseits Spiel, Spaß und Unterhaltung, Lern- und Bildungspotenziale, Alltagsentlastung für die Eltern und in einigen Situationen auch Sicherheit und Schutz. Andererseits sollten aber Risiken wie Datenschutz, Gerätesicherheit, nutzergenerierte Werbung sowie der Kinder- und Jugendmedienschutz in (sozialen) Medienangeboten nicht aus dem Blick geraten.
Auch die Privatsphäre der Kinder muss bei einigen vernetzten Spielzeugen diskutiert werden vor allem vor dem Hintergrund von GPS-Tracking, Geofencing, Audio- und Videoüberwachung.

Was ist vernetztes Spielzeug?

Jacqueline Hain: Vernetzte Spielzeuge (auch "Internet of toys" oder "Smart toys") sind direkt mit dem Internet verbunden. Dabei haben die Spielzeuge oft einen kleinen Computer integriert oder werden über eine App gesteuert. Es gibt aber auch Spielzeuge, die mittels einer Bluetooth-Verbindung in Kombination mit einem mobilen Endgerät funktionieren.

Gibt es spezielle Prüfsiegel/Gütesiegel, an denen sich Eltern orientieren können? Bzw. werden die positiven und negativen Aspekte eines digitalen Spielzeugs bei einem der schon existierenden Prüf- und Gütesiegel bei der Vergabe berücksichtigt?

Jacqueline Hain: Leider gibt es derzeit noch keine verbindlichen Prüfkriterien oder Gütesiegel für diese Kategorien von Produkten. Oft geben die Spielzeughersteller den Käuferinnen und Käufern eine Altersempfehlung mit, dies ist aber keine pädagogische Empfehlung und nicht jedes Spielzeug verfugt darüber. Allerdings gibt es Altersempfehlungen zu den dazu gehörigen Apps, ersichtlich in den jeweiligen App-Stores.
Der Google Play Store kennzeichnet seine Apps z. B. nach Kriterien, die von der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) entwickelt wurden. Diese Kennzeichen sind Empfehlungen der Anbieter, die Eltern eine Orientierungshilfe geben sollen; sie sind keine rechtlich verbindlichen Alterskennzeichnungen, die man von Filmen und Computerspielen kennt. Wichtig zu wissen: beide Arten der Alterskennzeichnung sind ausschließlich Hinweise, ab welcher Altersgruppe nicht mehr mit einer Kinder- bzw. Jugendbeeinträchtigung oder -gefährdung zu rechnen ist.

Der iOS App-Store verwendet eigene Prüfkriterien. Diese geben zu den Alterskennzeichnungen noch den Hinweis, ob dargestellte Gewalt, Szenen mit erotischen Anspielungen oder ob In-App-Käufe enthalten sind.

Gibt es eine Art Jugendschutzprüfung für Smart-Toys à la der FSK/FSF für Filme oder Videospiele?

Jacqueline Hain: Für die smarten Spielzeuge gibt es bisher keine strukturelle und unabhängige Jugendschutzprüfung. Generell wäre es wichtig, wenn auch smarte Spielzeuge – vergleichbar mit den verbindlichen Alterskennzeichen von Filmen, Fernsehproduktionen oder Computerspielen – verbindliche Gütesiegel bekamen. Gerade weil die Spielzeuge inklusive der Apps Risiken mit sich bringen können.

Bevor ich mein Kind mit einem Smart-Toy spielen lasse, worauf muss ich beim Kauf achten? Wo liegen die größten Probleme?

Jacqueline Hain: Speziell für digitale Spielzeuge sollte gelten:

  • Die Spielzeuge bzw. Apps verlangen keine persönlichen Daten.
  • Die Spielzeuge sind werbefrei.
  • Die Spielzeuge sind kindgerecht, frei von gewaltverherrlichenden Inhalten und stereotypen Geschlechterrollen.
  • Außenstehende können nicht auf die Spielzeuge oder deren Sprachsteuerung zugreifen.
  • Die Gerate und USB-Schnittstellen sind passwortgeschützt.
  • Wenn Passwörter nötig sind, sollten sie geändert werden können.
  • Daten der Kinder (Audio-, Foto- oder Videodateien) werden nicht in einer Cloud oder auf Servern von Drittanbietern abgelegt.

Die größten Risiken liegen im Datenschutz, der Gerätesicherheit (wegen der ungesicherten Verbindungen) und der nutzergenerierten Werbung.

Ab welchem Alter ist das digitale Spielzeug etwas für mein Kind?

Jacqueline Hain: Grundsätzlich ist ein Medienangebot für ein Kind geeignet, wenn es einfach verständlich ist und kein Gefährdungspotenzial hat. Bei smarten oder vernetzten Spielzeugen ist die entscheidendere Frage, ab wann Kinder allein damit umgehen können.
Je nach Alter sollten solche Angebote zumindest zu Beginn gemeinsam genutzt werden. Eltern sollten das Spielen begleiten und das Kind genau beobachten. Macht ihm etwas Angst? Sind Inhalte gewaltverherrlichend? Ist das Kind überfordert? Letztlich können nur die Eltern entscheiden, ob das Spielzeug dem eigenen Kind Spaß macht und sie es altersgerecht finden. Zu fragen ist auch, ob das Spielzeug es wert ist, viele Datenspuren zuzulassen. In der Regel bietet es sich hier an, die Produkte zunächst allein auszuprobieren.

Dabei hilft zum Beispiel unser "Digitales Kinderzimmer". Auf Webseiten wie www.app-geprueft.net erhalten Eltern zudem aufbereitete Informationen zu den Apps in den Kategorien Kinderschutz, Werbung, In-App-Kaufe, Datenschutz und Verbraucherinfos.

Woher weiß ich, welche Smart-Toys für mein Kind geeignet sind?

Jacqueline Hain: Aus Kindersicht – und übrigens auch für viele Eltern – wirken die verschiedenen Spielsachen und digitalen Geräte fürs Kinderzimmer zunächst verlockend. Angepriesen werden Produkte oft als Freundin/Freund und Begleiterin/Begleiter. Insbesondere mit vermeintlichen Alltagshelfern wie z.B. einer Windel-App, die Eltern auf eine volle Windel aufmerksam machen soll, versprechen Herstellende, dass Babys vor dem Wundsein verschont bleiben. Und natürlich möchten frischgebackene Eltern nur das Beste für ihr Kind.

Bei den GPS-Trackern spielen die Herstellenden mit der Angst der Eltern, suggerieren ihnen Kontrolle und Sicherheit. Aber in Wirklichkeit kann ein Tracking die Kinder nicht vor Gefahren schützen. Eltern sollten ihre Kinder auch aufklaren, dass der süße Teddy nicht nur ein Kuscheltier ist, sondern eigentlich ein Computer und womöglich von außen manipulierbar ist. Ebenfalls muss Kindern erklärt werden, dass z. B. Alexa nicht die neue Freundin aus dem Gerat ist, sondern ein reines Computerprogramm. Eine weitere Herausforderung stellt der Schutz der Privatsphäre von Kindern dar. Hier müssen Eltern abwägen, ob die Potenziale der Geräte z. B. die Speicherung nutzerbezogener Daten oder Platzierung von Werbeinhalten rechtfertigen.

Verlernen Kinder denn durch die ganzen digitalen Anreize nicht das richtige Spielen?

Jacqueline Hain: Medienwelten sind Lebenswelten, auch (oder gerade) für Kinder im Vor- und Grundschulalter. Heranwachsende nehmen die digitalen Einflüsse auf ihre Umwelt ganz selbstverständlich wahr.
Digitale Spiele sollten das Angebot an Spielzeug, das einem Kind zur Verfügung steht, deshalb sinnvoll ergänzen, keinesfalls aber ersetzen. Daher kann man die Frage so nicht beantworten, denn ein richtiges oder falsches Spielen gibt es nicht. Ein gut durchdachtes und kindgerecht konstruiertes digitales Spielzeug kann viele Anreize zum Spielen geben und das Lernen und Begreifen durch das Spielen fördern. Kindern mit bestimmten Einschränkungen können digitale Spielzeuge mitunter auch neue Spielwelten ermöglichen. Wichtig ist, gemeinsame Familienregelungen zu verabreden, bei Bildschirmmedien sinnvolle und machbare Zeiten festzulegen und genügend analoge Spielalternativen zu schaffen.

Können verschiedene Kinder mit einem Spielzeug spielen, wenn es auf ein Kind eingestellt ist?

Jacqueline Hain: Dies ist abhängig vom Spielzeug. Meist lassen sich in den zugehörigen Apps verschiedene Benutzer anlegen. Ein sprachgesteuerter Teddybär aber ist z. B. meist auf eine Nutzerin oder einen Nutzer abgestimmt. Durch viele Fragen versucht der smarte Teddy, Stimme und digitale Gewohnheiten des Kindes kennenzulernen und kommuniziert so auf individuelle Weise mit dem Kind.

Wie anfällig ist vernetztes Spielzeug für Hacker-Angriffe?

Jacqueline Hain: Vernetze Spielzeuge können von Hacker-Angriffen betroffen sein. Spielzeuge sind dann angreifbar, wenn sie keine gesicherte Bluetoothverbindung oder Internetverbindung haben. Umso wichtiger ist es, auf eine passwortgesicherte Bluetooth- oder Internetverbindung zu achten.

Gibt man sich als Eltern damit nicht mehr und mehr einer kompletten Überwachung hin? (Alexa, Google etc. + Spielzeug)

Jacqueline Hain: Eine mögliche Überwachung erfolgt mit der persönlichen Entscheidung zum Kauf solch digitaler Angebote. Das kann man gut am Beispiel von GPS-Tracking-Uhren für Kinder erklären. Meist haben Eltern den Wunsch, ihre Kinder zu orten. Dies tun sie, weil sie ihre Kinder dadurch sicher wähnen. Wichtig ist aber, ebenso auf die Bedürfnisse und Wünsche der Kinder zu hören. Kinder sollten wissen, wenn ihre Eltern sie orten und eine Ortung sollte nur erfolgen, wenn auch die Kinder zustimmen. Denn Kinder haben das Recht dazu, dies mitbestimmen zu dürfen. Wir empfehlen Eltern unbedingt, überwachungsfreie Räume mit den Kindern zu verabreden.

Jedoch gibt es auch eine andere indirekte Form der Überwachung. Hierzu zählen z. B. die Babyüberwachungssysteme mit Videokamera oder Sprachassistenten wie Alexa, die es bereits in vielen Kinderzimmern gibt. An dieser Stelle ist es unabdingbar, dass Eltern wissen, dass z. B. alle Sprachaktionen mit Alexa in der App aufgezeichnet werden. Aber nicht nur Eltern sollen darüber informiert sein. Auch die Kinder haben ein Recht zu erfahren, das ggf. ihre Eltern alle Sprachaktionen des Tages am Abend abhören konnten.

Wie kann ich trotz vorhandener Technik der Versuchung widerstehen, mein Kind ständig zu überwachen? (Stichwort geofencing, Recht der Kinder auf Privatsphäre)

Jacqueline Hain: Grundsätzlich ist es nachvollziehbar, dass Eltern ihre Kinder orten. Zudem ist der Zugang zur solchen Funktionen sehr leicht (selbst WhatsApp bietet eine Ortungsfunktion über den Live-Standort an). Bedenklich sind aber das unerlaubte Abhören und der Eingriff in die Privatsphäre. Jedes Kind hat laut der UN-Kinderrechtskonvention ein Recht auf Privatsphäre.
Erziehenden muss außerdem bewusst sein, dass die neuen Technologien keine Fürsorgepflicht ersetzen. Auch diese Gerate können nicht alle Gefahren und Unfalle verhindern. Im Gegenteil: In der Regel sind sie aufgrund ihrer Manipulierbarkeit im Gefahrenfall eher unwirksam. Letztlich müssen Eltern diese Entscheidung mit den Kindern gemeinsam treffen. Vor allem aber sollten Eltern ihre Kinder präventiv starken und aufklaren. Eltern können der Versuchung widerstehen, indem sie ihrem Kind Vertrauen schenken und es stärken, sich in Notsituationen richtig zu verhalten. Denn alleine eine Ortungsfunktion beschützt die Kinder nicht bspw. vor einer Entführung. Wie man aber allgemein zum Thema Kinderüberwachung eingestellt ist, liegt ganz und gar allein in der Familienverantwortung.

Für die Website www.baer.bayern.de führte Christine Bulla das Interview mit Jacqueline Hain von der fjp media Servicestelle Kinder- und Jugendschutz.