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Wut, Aggression und Überforderung der Eltern (im ersten Lebensjahr)
Irgendwann geraten wohl alle Eltern an diesen Punkt: Das schreiende Baby macht ratlos und die Stimmung ist angespannt.
Ich bin wütend auf mein Kind – ist das normal?
Das Schreibaby raubt Ihnen in der Nacht den so dringend benötigten Schlaf. Was es wohl hat? Gerade beim ersten Kind ist dies für die frischgebackenen Eltern eine große Herausforderung: Das Kind soll neben den anderen Aufgaben in den Tagesrhythmus integriert werden. Ihre Erfahrung ist dabei kein Einzelfall. Vielen Eltern geht es dabei genauso wie Ihnen. In solch einer angespannten Situation ist es dabei nicht leicht, besonnen zu reagieren.
Das bisherige persönliche und berufliche Leben von Mutter und Vater ändert sich tief greifend. Für die Mutter fallen zumindest für eine gewisse Zeit die beruflichen Kontakte weg. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf den neuen Erdenbürger. Auch der Partner wird feststellen, dass die Anwesenheit des kleinen Wesens aus der bisherigen Paarbeziehung eine kleine Familie macht. Ändern wird sich auch die Freizeitgestaltung. Gerade anfangs beeinflusst der Schlaf- und Wachrhythmus des Kindes diese nachhaltig.
Alle diese genannten Veränderungen verunsichern und brauchen ihre Zeit, bis sich im Alltag alles eingespielt hat. Meinungsverschiedenheiten, Stress und Auseinandersetzungen sind dabei vorprogrammiert. Diese Umstände können wütend auf das Baby machen.
Aber gerade dieses Gefühl verunsichert, da man sich eigentlich auf das Kind gefreut hat und Mutter und Vater gute Eltern sein wollen. Vielen Eltern geht es dabei genauso, Sie sind sicher kein Einzelfall. Entscheidend wird aber sein, wie Sie mit der eigenen Wut umgehen.
Verabschieden Sie sich von der Vorstellung, alles perfekt zu machen! Vergessen Sie das Bild von den stets lächelnden, liebevollen Eltern. Ein Kind gibt viel, fordert aber auch viel. Manchmal überfordert, gereizt, wütend, am Ende der Kraft zu sein, ist völlig normal.
Wie kann ich kritische Situationen vermeiden?
- Nehmen Sie sich in der Tagesplanung nicht zu viel vor. Setzen Sie sich in Sachen Haushalt und Arbeit nicht unter Druck. Erstellen Sie eine Liste, welche Dinge vorrangig erledigt werden müssen und welche auch noch warten können. An besonders schwierigen Tagen ist es absolut erlaubt, Arbeit liegen zu lassen.
- Suchen Sie nach Entlastungsmöglichkeiten in der Betreuung des Säuglings und der anfallenden Arbeiten im Haushalt. Oft kann Sie der Partner oder jemand im Verwandten- oder Freundeskreis unterstützen. Vielleicht ist ja gerade die Oma oder die Freundin froh darüber, wenn sie einzelne Aufgaben übernehmen und Ihnen damit einen Gefallen tun können. Dabei ergibt sich auch die Chance, einmal Abstand vom Kind zu bekommen.
- Planen Sie regelmäßige „Auszeiten“ vom Kind ein, wenn es gut versorgt ist. Einen 24-Stunden-Job an sieben Tagen die Woche hält niemand durch.
- Tun Sie sich auch mal selbst etwas Gutes! Gönnen Sie sich von Zeit zu Zeit einen Tapetenwechsel. Vergessen Sie auch nicht in der Hektik des Alltags die Dinge, die Ihnen Freude bereiten. Gerade das geliebte Hobby stellt möglicherweise eine wertvolle Energiequelle dar.
- Es muss auch Luft sein für eigene Bedürfnisse: Tun Sie etwas, das Ihnen wirklich Spaß macht. Vergessen Sie nicht, Ihre lieb gewonnenen Hobbys zu pflegen, Freundinnen und Freunde zu treffen. Dabei können Sie abschalten und den Kontakt zu anderen Menschen pflegen.
- Bauen Sie Energiereserven auf. Gönnen Sie sich alleine oder mit dem Partner etwas Gutes. So können Wellness-Angebote aufbauende Farbtupfer in dem oft stressigen Alltag sein. Oder Sie leisten sich ein neues Kleidungsstück oder einen Gang zum Friseur.
- Wichtig ist, dass Sie die möglichen Ursachen für das Schreien Ihres Babys kennen. Dabei sollten Sie immer bedenken: Das Kind äußert seine Bedürfnisse und drückt sein Unbehagen aus. Ganz sicher will es Sie aber nicht provozieren. Es hat einfach keine anderen Möglichkeiten, den eigenen Zustand den Bezugspersonen mitzuteilen.
Wohin mit meiner Wut?
Es ist eine völlig normale Reaktion, beim Umgang mit einem Kind auch mal wütend zu werden! Sie müssen sich dafür nicht schämen, denn anderen Eltern geht es genauso. Die Frage ist nur, wie Sie mit Ihrer Wut umgehen.
- Am wenigsten hilfreich ist, die eigenen Aggressionen am Kind auszuleben. Dabei besteht leicht die Gefahr, dass sich das Schreien des Kindes nur verstärkt, da es die angespannte Stimmung spürt und verunsichert wird.
- Ganz wichtig: Schütteln Sie Ihr Kind nie! Den meisten ist nicht bewusst, wie gefährlich Schütteln für ihr Kind ist. Das Gehirn eines kleinen Kindes – und das gilt nicht nur für Säuglinge, sondern auch noch im Kleinkindalter – ist sehr zart und verletzlich. Die Nackenmuskulatur des kleinen Kindes ist zudem noch schwach und der Kopf macht bei Babys noch einen großen Teil ihres Körpergewichts aus. Da können schon hastige Bewegungen gefährlich sein. Beim Schütteln schlägt der Kopf ungeschützt hin und her. Hierdurch können Blutgefäße und Nervenbahnen im Gehirn reißen und es kann zu bleibenden Schäden kommen. Hierzu gehören beispielsweise schwere bis sehr schwere Entwicklungsstörungen mit Seh-, Hör- oder Sprachstörungen, körperliche und geistige Behinderungen, Verhaltensstörungen und Krampfleiden. Die Verletzungen können so schwerwiegend sein, dass sie sogar zum Tod des Kindes führen können. Weisen Sie auch andere Betreuungspersonen Ihres Kindes auf die Gefährlichkeit des Schüttelns hin!
- Besser ist es, die angestaute Wut in eine andere Bahn zu lenken – ehe Sie die Beherrschung verlieren und Ihr Kind anbrüllen oder schütteln. Wenn das Kind sicher untergebracht ist, verlassen Sie doch für kurze Zeit den Raum: Brüllen Sie einen Gegenstand an, schlagen Sie auf einen Ball ein oder stampfen Sie auf den Boden. Auch singen oder laut vor sich hin reden kann helfen, um ruhiger zu werden. Gehen Sie erst dann zu Ihrem Kind zurück.
- Im Umgang mit der eignen Wut kann es deshalb hilfreich sein, mehrmals tief durchzuatmen Vielleicht erinnern Sie sich auch noch an die Entspannungsübungen und Atemtechniken, welche im Geburtsvorbereitungskurs der Hebamme vermittelt wurden.
- Wenn es die Situation erlaubt, versuchen Sie einen Tapetenwechsel. Machen Sie einen Spaziergang. Sie können sich dabei abreagieren und der kleine Quälgeist kann vielleicht im beruhigend schaukelnden Kinderwagen endlich einschlafen.
- Rufen Sie eine Freundin bzw. einen Freund an, weinen Sie sich aus. Vielleicht kann sie oder er auch vorbeikommen und Ihnen beistehen oder etwas abnehmen.
Was könnte die Situation längerfristig entzerren?
- Setzen Sie sich mit Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner zusammen und überlegen Sie gemeinsam, wo der Schuh drückt. Dazu gehört, dass Sie sich gemeinsam Gedanken über Ihre aktuelle (Lebens-)Situation machen. Vielleicht ist es notwendig, dass Sie der Partnerin oder dem Partner verdeutlichen, wo Sie dessen Hilfe benötigen und wie sie oder er Sie entlasten kann. Sprechen Sie aber auch darüber, welche Bedürfnisse beide Seiten haben. Dazu gehören Themen wie Partnerschaft nach der Geburt , Sexualität und Liebe nach der Geburt des Kindes. Dabei drückt sich auch die gegenseitige Wertschätzung aus, und es fällt leichter, gemeinsam am selben Strang zu ziehen.
- Einen anderen Blickwinkel eröffnet sicher auch das Gespräch mit befreundeten Menschen. Oft hilft schon das Erzählen der eigenen Probleme, neue Perspektiven zu sehen. Oft hilft es schon, die Ursache für den eigenen Zorn selber zu erkennen. Ihr Kind ist sicher nicht schuld daran.
- Auch Kontakt zu anderen Eltern kann helfen. Im Gespräch können Sie Erfahrungen austauschen und Frust ablassen.
- Wenn es noch andere Belastungen in Ihrem Leben, zum Beispiel familiäre Probleme, finanzielle Sorgen oder es durch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehr große berufliche Anforderungen gibt, dann versuchen Sie – so schwierig es auch ist – Ihren Problemen aufrecht ins Auge zu sehen.
- Wenn Ihr Kind sehr viel schreit und Sie sich der Situation kaum noch gewachsen fühlen, wenden Sie sich bitte an Ihren Kinderarzt / Ihre Kinderärztin oder eine Beratungsstelle für Eltern mit Schreibabys.
- Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihnen die ganze Situation daheim über den Kopf wächst, Wut, Hass, Verzweiflung häufig auftreten, dann ist das ein Alarmsignal: Zögern Sie nicht, Hilfe von außen zu holen. Immer wieder erweist sich der Gang zu einer Erziehungsberatungsstelle oder zum Jugendamt als hilfreich.