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Die Autonomiephase: Kleine Kinder – große Gefühle

Beitrag aus:
Elternbrief 10
22-24 Monate

"Autonomie" heißt Selbstständigkeit. In dieser Phase macht Ihr Kind einen sehr wichtigen Lern- und Entwicklungsschritt. Ihr Kind kann nun viel und es will auch viel. Aber nicht im­mer das, was Sie als Eltern gerade gut finden. Vielleicht gibt es Situationen, in denen Sie das Gefühl haben, Ihr Kind will Sie in einen "Machtkampf" verwickeln. 

Das Gefühl ist ganz normal. Kinder streben mit ca. 2 Jahren verstärkt nach Autonomie. Deshalb nennt man die nun bevorstehende Phase auch Autonomiephase.

Ein Mädchen mit 2 Zöpfen und einer Haarspange weint, die Nase läuft

Wütend, weil etwas nicht klappt

Ein Hinweis vorweg: Alle Kinder kommen früher oder spä­ter, meistens ab ca. 2 Jahren, in die sogenannte Autono­miephase. Und bei allen Kindern ist sie spätestens nach ein paar Jahren vorbei. In dieser Zeit entdeckt das Kind seinen eigenen Willen und seine Selbstwirksamkeit. 

"Selbst­wirksamkeit" bedeutet, dass das Kind in seine eigenen Fähigkeiten Vertrauen hat. Es wird immer selbstständiger. Häufige Sätze sind "Ich kann das alleine!" oder "Ich will aber!". Ihr Kind will dann oft keine Hilfe von Erwachsenen.

Diese Phase wird in der Umgangssprache auch als "Trotz­phase" bezeichnet. Dieser Begriff beschreibt, wie sich Ihr Kind jetzt teilweise verhält. Es wird sauer oder frustriert, wenn es etwas nicht darf oder etwas einfach nicht klappen will. Es reagiert mit Wut oder Tränen. 

Dabei kann es auch handgreiflich werden und schlagen oder treten. Oft ohne Vorwarnung. Und es kann sich regelrecht in einen Wutaus­bruch hineinsteigern. Auch über eine recht lange Zeit.

Ihr Kind kann seine Gefühle noch nicht richtig kontrollieren.

Inmitten eines Wutausbruchs kann man kaum zum Kind durchdringen. Ihr Kind wird dann von Gefühlen wie Wut, Ohnmacht oder Angst regelrecht überrollt und kann nichts dagegen tun. Denn Ihr Kind hat seine Gefühle noch nicht so gut unter Kontrolle wie ein Erwachsener. Zudem kann es oft sprachlich noch nicht das ausdrücken, was es ge­rade fühlt, was gerade in seinem Kopf vorgeht. Und auch die sozialen Fähigkeiten entwickeln sich erst langsam.

Für Ihr Kind findet in dieser Zeit eine große Umstellung statt. Denn noch vor kurzer Zeit wurde jede seiner neu­en Fertigkeiten freudestrahlend gelobt und bewundert. Doch jetzt werden Entdeckungslust und Spielfreude immer häufiger durch die Erwachsenen gebremst bzw. reguliert. Ihr Kind möchte aber weiter die Welt auf seine Art und in seinem Tempo begreifen.

So will Ihr Kind beispielsweise morgens vor dem Losge­hen noch schnell mit dem einen Spielzeugauto durch die Wohnung fahren und dann dafür noch einen Parkplatz suchen. Sie sind jedoch in Eile und bitten Ihr Kind, dass es sich nun endlich anziehen und mit Ihnen losgehen soll. Schnell führt so eine alltägliche Situation zu großem Wi­derstand bei Ihrem Kind. Das kann mit großem Geschrei und Tränen enden. Und wahrscheinlich wird auch Ihre Geduld langsam abnehmen.

Denken Sie aber immer daran, dass Ihr Kind Sie mit sei­nem Verhalten nicht bewusst verärgern möchte. Hier prallen einfach die unterschiedlichen Vorstellungen, was gerade wichtig ist, aufeinander.

Gründe, warum kleine Kinder wütend werden können:

  • wenn sie etwas tun wollen, was sie noch nicht können, wie etwa Knöpfe schließen oder an etwas hochklettern
  • wenn ihnen Grenzen gesetzt werden (jedes "Nein" kann heftigen Protest zur Folge haben)
  • wenn sie mit anderen Kindern in Streit geraten, weil ihnen etwas weggenommen wurde
  • wenn etwas gerade nicht geht, z. B. weil ein anderes Kind gerade auf der Schaukel sitzt
  • wenn sie sich zu plötzlich auf eine veränderte Situation einstellen müssen, z. B. das Spiel unterbrechen sollen, um mit zum Einkaufen zu kommen
  • wenn sie zu vielen Reizen wie Fernsehen, Lärm, Hektik oder vielen Menschen ausgesetzt sind
  • wenn sie sonst keine andere Möglichkeit sehen, Auf­merksamkeit zu bekommen
  • wenn sie müde oder hungrig sind oder sich überfordert fühlen
Ein Vater hält seine traurige Tochter im Arm

So können Sie den ein oder anderen Gefühlsausbruch vielleicht vermeiden

Sie als Eltern möchten natürlich die Anzahl der Wutausbrü­che möglichst gering halten. Doch viele dieser Ausbrüche kommen für Sie ohne Vorankündigung. In einigen Situatio­nen können Sie die Frustration möglicherweise verhindern, indem Sie Ihrem Kind "Brücken bauen":

  • Kinder brauchen Freiräume und Grenzen. Wenn das Kind etwas möchte, kann es hilfreich sein, klar und be­stimmt zu antworten. Sie können auch in wenigen, ein­fachen Worten erklären, warum etwas in dem Moment nicht geht.
  • Bestimmte Dinge können Sie auch grundsätzlich verbie­ten. Ihr Kind will z. B. Dinge selbst machen oder auspro­bieren, die (noch) zu gefährlich sind oder auch kaputtge­hen können? Wichtig ist hier, dass Sie dabei konsequent sind. Denn für Ihr Kind ist es schwer zu verstehen, wenn es bestimmte Dinge manchmal darf und manchmal nicht. Sie sollten daher nur die Dinge grundsätzlich verbieten, die Ihnen wirklich wichtig sind. Konsequenz vermittelt Ihrem Kind Sicherheit und einen klaren Handlungsspielraum.
  • Genauso können andere Dinge grundsätzlich erlaubt sein. Mit seinem Selbsttun und Ihrem Vertrauen in das Kind stärken Sie seine Selbstwirksamkeit und so sein Selbstbe­wusstsein. Stolz wird es zeigen wollen, was es schon alles alleine kann. Manchmal muss man dafür den Alltag ein bisschen umstrukturieren. Das geht natürlich nicht immer. Sie könnten Ihr Kind etwa beim Kochen einbinden. Es gibt spezielle Kindermesser, mit denen Kinder dann bei­spielsweise die Kartoffeln klein schneiden dürfen. Oder Sie legen fest, dass es immer die Mütze/Kappe selbst aufsetzen und die Schuhe selbst anziehen darf, bei einem anderen Kleidungsstück helfen Sie noch.
  • Formulieren Sie Ihre Wünsche an Ihr Kind klar als Aussa­gen und nicht als Frage, auf die Ihr Kind auch mit "Nein" antworten kann. Also statt einem: "Putzt du dir bitte die Zähne?" lieber ein: "Jetzt ist Zeit, die Zähne zu putzen."
  • Lassen Sie Ihr Kind gewisse Dinge mitentscheiden. Die blaue oder die rote Mütze? Der eine oder der andere Spielplatz? So wird Ihr Kind in seiner Selbstwirksamkeit gestärkt, denn es darf selbst bestimmen. Sie können ihm auch erklären, dass bei manchen Sachen die Kinder entscheiden können, bei anderen Dingen aber die Er­wachsenen entscheiden müssen.
  • Auch Spielsachen von Geschwistern können zum Streit führen. Hier müssen Sie als Eltern oft vermitteln. Natür­lich sollen die Großen auch lernen zu teilen. Aber auch die Kleinen müssen lernen, dass sie nicht alles haben dürfen. Es ist in Ordnung, Dinge für sich selbst behalten zu wollen.
  • Veränderungen können Sie rechtzeitig ankündigen. Bedenken Sie, dass Ihr Kind noch kein genaues Zeit­verständnis hat. Zeitangaben kann es deshalb nicht einordnen. Es weiß nicht, wie lange 5 oder 10 Minuten sind. Sie können ihm aber sagen, was es noch machen kann: noch 3-Mal rutschen oder das Bild noch fertig malen. Eine weitere Idee ist es, einen Wecker zu stel­len, der Ihrem Kind signalisiert, dass mit dem Klingeln eine Aktivität endet und eine neue beginnt. Dies kann beispielsweise so angekündigt werden: "Die Spielzeit ist beim Klingeln des Weckers zu Ende. Danach ma­chen wir uns fertig fürs Bett."
  • Sorgen Sie für ausreichend Schlaf und Ruhephasen.
  • Planen Sie genügend Zeit ein. Wenn Sie wissen, dass Ihr Kind morgens vor der Kita noch etwas spielen möchte oder sich alleine anziehen möchte, stehen Sie früher auf, sodass dafür genügend Zeit bleibt.
  • Vermeiden Sie am besten Reizüberflutung sowie Stress und zu viele Ereignisse an einem Tag. Manche Kin­der sind nach der Kita einfach "platt". Da ist es dann schwierig, wenn noch Aktivitäten geplant sind, bei denen Ihr Kind nicht frei spielen kann.
  • Seien Sie sich bewusst, dass Ihr Kind von Ihnen lernt. Sie sind eines seiner wichtigsten Vorbilder. Von Ihnen schaut es sich ab, wie man mit Wut oder Frustration umgehen kann. Reagieren Sie also möglichst nicht laut und wütend, wenn sich Ihr Kind nicht so verhält, wie Sie es in dem Augenblick von ihm möchten.

Was Sie während oder nach einem Gefühlsausbruch des Kindes tun können:

Auch wenn Sie alle Tipps befolgen, wird sich nicht jeder Gefühlsausbruch vermeiden lassen. Wenn Ihr Kind von negativen Gefühlen geradezu überrannt wird, vielleicht schreit, um sich tritt und keine Berührungen mehr zu­lässt, können Sie folgende Dinge tun:

  • Signalisieren Sie Ihrem Kind, dass Sie grundsätzlich ansprechbar bleiben. Das heißt natürlich nicht, dass Sie eine halbe Stunde neben Ihrem tobenden Kind sitzen bleiben müssen, aber Sie sollen für das Kind erreichbar bleiben.
  • Kleine Kinder können sich oftmals noch nicht so gut selbst beruhigen. Sie brauchen eine Person, die ihnen dabei hilft, sobald sie dazu bereit sind. Wenn Sie Ihr Kind während eines Gefühlsausbruches kurze Zeit alleine lassen, z. B. weil Sie sich um ein Geschwister­kind kümmern müssen oder selbst einen Moment zum Durchatmen brauchen, teilen Sie Ihrem Kind das mit.
  • Sie können ihm sagen, dass Sie jetzt kurz weggehen, aber gleich noch mal nach ihm sehen werden.
  • Machen Sie immer wieder Angebote, das Kind in den Arm zu nehmen. Zwingen Sie es aber nicht zum Kör­perkontakt. Ihr Kind wird sich erst in den Arm nehmen lassen, wenn die starken Gefühle nachlassen.
  • Nach einem Gefühlsausbruch brauchen viele Kinder Nähe und Körperkontakt.
  • Wenn sich das Kind langsam beruhigt, können Sie sei­ne Gefühle ansprechen. Etwa so: "Du hast dich gera­de richtig stark geärgert. Aber gerade ist ein anderes Kind auf der Schaukel. Wir können gemeinsam warten, bis die Schaukel frei wird."
  • Sie können die Situation auch später in einem ruhigen Moment noch mal ansprechen. Auch das gemeinsame Anschauen von Bilderbüchern zum Thema Wut kann helfen, diese für Kinder verständlicher zu machen.

 

Bleiben Sie entspannt

Nicht nur Ihr Kind macht um den zweiten Geburtstag her­um einen wichtigen Schritt. Auch Ihr Miteinander verändert sich. Sie müssen noch einfühlsamer auf Ihr Kind reagieren als in den letzten Monaten. Nicht nur für Ihr Kind, auch für Erwachsene kann diese Phase sehr anstrengend sein.

Es ist normal und völlig in Ordnung, wenn auch Sie mit manchen Situationen überfordert sind. Denn die Autono­miephase setzt auch die Eltern enorm unter Druck.

Auseinandersetzungen mit dem eigenen Kind, besonders in der Öffentlichkeit, z. B. beim Einkaufen oder auf dem Spielplatz, lassen den Stresslevel stark ansteigen. Sie sind auch für erwachsene Menschen anstrengend. Selbst für den gelassensten Menschen kann die Autonomiephase eines Kindes sehr herausfordernd sein.

Foto: kleiner Junge, der weint

Das kann Ihnen beim Gefühlsausbruch Ihres Kindes helfen

Das wohl Wichtigste ist, selbst ruhig zu bleiben. So helfen Sie einem Kind bei einem Gefühlsausbruch am besten. Denn wenn die Welt gerade für das Kind komplett auf dem Kopf steht, brauchen Eltern zum Ausgleich einen ruhigen Geist. Sie werden es nicht schaffen, die starken Gefühle Ihres Kind zu begleiten, wenn Sie selbst auch aufgewühlt sind. Hier ein paar Tipps:

  • Nehmen Sie seine Angriffe nicht persönlich. Ihr Kind ist in dem Augenblick eigentlich auf die Situation sauer, nicht auf Sie.
  • Setzen Sie klare Grenzen und machen Sie deutlich, dass andere Menschen nicht gehauen oder getreten werden dürfen. Sprechen Sie ruhig mit ihm, z. B.: "Ich sehe, dass du sauer bist. Aber Hauen ist nicht in Ord­nung!" Denn ein tobendes Kind anzuschreien, ist keine Lösung und führt nur zu einer Verschlimmerung der Situation.
  • Eine Diskussion wird keinen Wutanfall beenden. Kin­der sind im Augenblick des totalen Gefühlschaos nicht aufnahmefähig für Argumente. Die Argumente dringen nicht zum Kind durch.
  • Schlucken Sie Ihre Wut herunter, auch wenn es extrem schwerfällt. Atmen Sie tief durch und versuchen Sie, irgendwie Verständnis für die Situation des Kindes aufzubringen.

Je lauter das Kind wird, desto ruhiger sollten Sie werden.

  • Um eine Eskalation zu vermeiden, ist es wichtig, dass Sie selbst wieder zur Ruhe kommen. Es kann helfen, kurz aus dem Raum oder ein paar Schritte weg von Ihrem Kind zu gehen und ein paar Mal tief durchzu­atmen. Natürlich nur, wenn Sie vorher sichergestellt haben, dass Ihrem Kind nichts passieren kann.
  • Es kann vorkommen, dass Sie doch einmal laut werden. Erklären Sie später in einer ruhigen Minute Ihrem Kind, warum Sie doch geschrien haben. Sie können auch sagen, dass Sie eigentlich nicht schreien möchten und sich dafür entschuldigen. So lernt Ihr Kind, dass auch Erwachsene Fehler machen. Und dass es wichtig ist, sich dafür zu entschuldigen.

Wenn Sie sich sehr überfordert fühlen und jemanden brauchen, der Ihnen Tipps geben kann, suchen Sie nach geeigneten Anlaufstellen. Hier kann z. B. eine KoKi-Fach­stelle oder eine Erziehungsberatungsstelle ein passendes Gesprächsangebot anbieten oder vermitteln. Vielleicht ist auch eine Entlastung für Sie hilfreich, sodass Sie selbst auch mal eine Auszeit bekommen.

Die KoKi

Die Koordinierenden Kinderschutz­stellen (KoKi) – Netzwerk frühe Kindheit bieten werdenden Eltern und Eltern mit Kindern bis 3 Jahren kostenfrei Beratung und Hilfe an. Zudem kann eine KoKi-Fach stelle über bestehende Angebote infor­mieren und Familien an ein pas­sendes Unterstützungsangebot weitervermitteln. Der BayernAtlas hilft Ihnen, die Ko­Ki-Stelle in Ihrer Nähe zu finden.