Elternbrief Nr. 46

- - - - - Die körperliche Entwicklung ist abgeschlossen. 46 Wo will ich hin? Jetzt, wo Ihr Sohn oder Ihre Tochter die Pubertät zumin dest körperlich einigermaßen bewältigt hat, entwickelt sich ein ganz neues Selbstbewusstsein. Jugendliche ma chen im jetzigen Alter auch geistig riesige Fortschritte. Sie denken nach, diskutieren über Gott und die Welt und über legen sich, wohin die Reise beruflich und persönlich ge hen soll. Begleiten Sie Ihr Kind durch diese entscheiden den Jahre, aber geben Sie den Weg nicht vor – allenfalls die Richtung. Ihr Sohn oder Ihre Tochter ist jetzt alt genug, den eigenen Weg zu finden und zu gehen. Briefe B A Y E R I S C H E S L A N D E S J U G E N D A M T INHALT Alter: 15–16 Jahre 1 Spätpubertät und Adoleszenz 3 Das erste Mal 5 Beieinander übernachten 6 Die Mittlere Reife 8 Der Berufseinstieg 9 Geld abgeben oder nicht? 10 Schule und Jobben 12 Wo trifft sich die Jugend? 14 Was ist eigentlich „Ritzen“? Mit 15 Jahren ist bei vielen Jugendlichen die körperliche Entwicklung abgeschlossen. Bei den Mädchen ist die geschlechtliche Reife meist mit 14 beendet, bei den Jungen mit 15 oder 16. Jeder junge Mensch entwickelt sich also in seinem eigenen Tempo. Nachdem die körperliche Entwicklung abgeschlossen ist, geht es nun in der sogenannten Adoleszenzphase um die seelische Entwicklung. Sie dauert ca. zwei Jahre und ist mit etwa 18 Jahren beendet. Die Jugendlichen akzeptieren ihre körperlichen Verän-

Nach dem Körper reift au ch die Seele. © Luisella Planeta Leoni / Pixabay.com derungen, das „Kind“ schämt sich also nicht mehr für die weiblichen Rundungen oder die männlichen Schultern und Muskeln, sondern ist endlich stolz darauf. Äußerlichkeiten wie Figur oder Haarschnitt bekommen plötzlich einen hohen Stellenwert. Die Jungen treiben Sport oder gehen ins Fitnessstudio, die Mädchen achten verstärkt auf ihre Figur und machen vielleicht die erste Diät. Die Jugendlichen entwickeln ein völlig neues Selbstwertgefühl, das allerdings auch oft mit Selbstüberschätzung gepaart ist. Ihr Denken kreist jetzt viel um sie selbst, sie sind auf der Sinnsuche. Es beginnt die Auseinandersetzung mit der eigenen Zukunft. Die Jugendlichen stellen erstmals ernsthafte Überlegungen an, was sie in ihrem Leben erreichen wollen. Auch politische oder gesellschaftliche Ereignisse interessieren sie zunehmend. Sie lösen sich immer mehr vom Elternhaus, orientieren sich an ihrem Freundeskreis, und manche von ihnen machen ihre ersten Erfahrungen mit Partnerschaft und Sex. Dieser seelische Reifeprozess dauert zwei bis drei Jahre. An dessen Ende steht kein Kind mehr, sondern eine junge Frau oder ein junger Mann. 2

Ist Ihr Kind bereit für das „erste Mal“? Das erste Mal Der erste Geschlechtsverkehr ist ein viel diskutiertes Thema. Welcher Zeitpunkt ist „normal“? Bereits mit zwölf? Oder doch mit 15, 16 oder erst 17? Eine Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat ergeben, dass zwar sieben Prozent der befragten Mädchen und vier Prozent der Jungen vor ihrem 14. Geburtstag den ersten Sex hatten, die Mehrheit aber, nämlich 66 Prozent der Mädchen und 55 Prozent der Jungen, waren beim „ersten Mal“ knapp 17 Jahre alt. Wenn Sie Ihren Sohn oder Ihre Tochter gut kennen, werden Sie es schnell merken, wenn Ihr Kind zum ersten Mal verliebt ist. Im Laufe der Zeit wird sich dann bei ihm oder ihr auch der Wunsch nach der ersten sexuellen Erfahrung einstellen. Ob Sie aber auch diese Veränderung bei Ihrem Kind bemerken werden, ist eher fraglich. Auf jeden Fall sollten Sie nun – wieder einmal – das Thema Verhütung auf die Tagesordnung setzen. Über die Jahre haben Sie mit Ihrem Kind immer wieder altersgerecht auch über Sexualität gesprochen. Deshalb ist dieses Thema Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn hoffentlich auch nicht mehr ganz so peinlich. Falls doch, machen Sie klar, dass sich das jetzt nicht vermeiden lässt. Ein Gespräch über Verhütungsmittel ist notwendig, denn eine Schwangerschaft will Ihr Kind sicher nicht riskieren. Lassen Sie sich also nicht davon abbringen, auch wenn der Sohn abblockt oder die Tochter versucht, geschickt vom Thema abzulenken. Bleiben Sie trotzdem dabei: Sprechen Sie noch einmal über Verhütung und Sexualität! Die Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat übrigens auch ergeben, dass die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen ihr erstes Mal in einer festen Beziehung erlebt, und dass die allermeisten Teenager dabei auch verhüten. Nummer eins der Verhütungsmittel beim ersten Geschlechtsverkehr ist das Kondom, das mit zunehmender sexueller Aktivität von der Pille abgelöst wird. Ein weiteres Ergebnis der Studie: Zwei Drittel der Jungen und Mädchen besprechen das Thema Verhütung mit den Eltern. 3

Bedrängen Sie Tochter oder Sohn nicht mit Ihren Ratschlägen! • • • © rawpixel / Pixabay.com Liebe ist ein schwieriges Thema ... ... deshalb brauchen Sie Fingerspitzengefühl. Die erste Liebe ist wie eine zartes Pflänzchen, das Hege und Pflege braucht. Wenn Sie Ihre sicher gut gemeinten elterlichen Ratschläge zu technisch oder medizinisch formulieren, blockt Ihr Kind ab. Hier ein paar Tipps: Geben Sie ruhig zu, dass das Thema peinlich ist. Lassen Sie Ihr Kind wissen, dass es auch für Sie nicht so einfach ist, darüber zu reden. Informieren Sie lieber nebenbei. Anstatt Ihr Kind ein Mal zum Grundsatzgespräch zu sich zu zitieren, unterhalten Sie sich lieber häufiger ganz allgemein über die Liebe und was es dabei zu beachten gilt. Nehmen Sie Filme und TVSerien als Aufhänger. Sehen Sie sich mit Ihren Kindern deren Lieblingsserien an. Typischerweise wimmelt es darin von frisch entbrannter, tragischer oder gefährlicher Liebe in sämtlichen Variationen. So finden sich immer wieder gute Aufhänger, um das Thema anzuschneiden und auch wichtige praktische Informationen einfließen zu lassen. 4

Der Familienkreis wird größer. Beieinander übernachten Trotz aller Toleranz ist es für viele Eltern doch befremdlich, wenn der Freund oder die Freundin ihres Teenagers im Hause übernachtet. Die Enge und Vertrautheit der Kernfamilie ändert sich durch die Anwesenheit einer fremden Person. Die Öffnung der Familie nach außen ist ganz normal, wenn die Kinder heranwachsen. Trennungsfamilien machen diesen Öffnungsprozess meist schon früher durch. Ein neuer Partner, vielleicht auch weitere Kinder, mussten integriert werden, und der Freundeskreis des alleinerziehenden Elternteils ist häufig enger in das Familienleben mit einbezogen. Da wird auch auf den ersten Freund oder die erste Freundin des Kindes gelassener reagiert. Beieinander übernachten bedeutet meist, sich auch körperlich näherzukommen. Dieser Gedanke ist für die meisten Eltern im ersten Moment schwierig. Manche haben aus religiösen oder anderen Gründen dafür kein Verständnis und reagieren mit Verboten. Vielleicht geht es auch Ihnen so und Sie verlangen von Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn sogar, die Liebesbeziehung abzubrechen. Allerdings ist das keine Garantie dafür, dass Ihr Kind sich tatsächlich an Ihr Verbot hält. Die Folge einer sehr strengen Haltung der Eltern kann sein, dass die jungen Leute ihre Liebe geheimhalten müssen und Sexualität als etwas Verbotenes oder Schmutziges erleben. Grundsätzlich ist es wichtig, dass Sie sich als Eltern mit der Sexualität Ihrer Kinder auseinandersetzen. Die Frage „Darf mein Freund oder meine Freundin heute über Nacht bleiben?“ wird Ihr Teenager früher oder später stellen. Dann sollten Sie darauf vorbereitet sein und einen Standpunkt dazu haben, den Sie auch begründen können. Ein allgemein gültiges „richtiges Alter“ fürs Übernachten gibt es nicht. Die Entscheidung, wer bei Ihnen über Nacht bleiben darf und wer nicht, liegt ganz bei Ihnen. Wichtig ist, dass Sie sich dabei nicht unter Druck setzen lassen. Treffen Sie eine ehrliche und für Sie stimmige Entscheidung, die Sie gegenüber Ihrem Kind klar vertreten können. Denn bitte denken Sie daran: Ob Ihr Kind Sexualität jetzt und in Zukunft als natürlich und schön erlebt, hängt auch zu großen Teilen von Ihrer Einstellung als Eltern ab. 5

Schule oder Ausbildung? Die Mittlere Reife Mit 16 Jahren machen viele Realschüler ihren Abschuss. Auch wer den Mittlere-Reife-Zug der Mittelschule besucht, legt nach der zehnten Klasse seine Prüfungen ab. Neben den allgemeinen Fächern wie Deutsch, Englisch und Mathematik wird auch die Gruppe der Wahlpflichtfächer geprüft. Mit Bestehen der Prüfungen für die Mittlere Reife stehen viele Wege offen. Auf dem Arbeitsmarkt ermöglicht die Mittlere Reife den Zugang zu qualifizierten Berufsausbildungen, etwa im kaufmännischen, technischen und medizinischen Sektor oder im Bereich Informatik. Auch kann die mittlere Beamtenlaufbahn eingeschlagen werden. Neben der Berufsausbildung in einer Firma oder in einem Betrieb gibt es zudem die Möglichkeit, an einer Fachschule oder einer Fachakademie einen Beruf zu erlernen. Im sozialen Bereich kann man sich etwa an einer Fachakademie für Sozialpädagogik zum Erzieher oder zur Erzieherin qualifizieren. Fachschulen gibt es auch für andere Berufe wie zum Beispiel den des technischen Zeichners. Mit einem Notendurchschnitt bis 3,5 in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch kann Ihr Sohn oder Ihre Tochter auch an eine Fachoberschule (FOS) wechseln und dort das Fachabitur machen. Auch an Fachoberschulen gibt es unterschiedliche Schwerpunkte: Neben den Bereichen Technik, Wirtschaft und Sozialwesen gibt es auch noch den Bereich Verwaltung und Rechtspflege, Gestaltung oder Agrarwirtschaft. Nicht zuletzt kann Ihre Tochter oder Ihr Sohn mit einer guten Mittleren Reife auch auf ein Gymnasium wechseln und die Abiturprüfung ablegen. Wer jedoch an der Realschule kein Französisch belegt hat, wird die zweite Fremdsprache (neben Englisch) nachlernen müssen. Manche Gymnasien bieten übrigens Übergangsklassen an, in denen Schüler, die die Mittlere Reife erlangt haben, für die Oberstufe des Gymnasiums fit gemacht werden. 6

Der Weg zum Abitur steht immer noch offen. Das bayerische Schulsystem ist sehr durchlässig. Erkundigen Sie sich rechtzeitig. Ein wichtiger Ansprechpartner bei der Berufswahl ist die Agentur für Arbeit. Dort kann sich Ihr Sohn oder Ihre Tochter über die jeweiligen Berufswünsche informieren. Unterstützen Sie Ihr Kind dabei. Geben Sie Anregungen, aber überreden Sie es nicht zu einer Ausbildung, die es nicht machen möchte, oder zum Besuch einer weiterführenden Schule. Beachten Sie: Bewerbungen um eine Lehrstelle sollten möglichst frühzeitig geschrieben und verschickt werden (siehe Elternbrief 45). Auch die Anmeldefristen der weiterführenden (Fach-)Schulen sind zu beachten! © Startup Stock Photos / Pexels.com 7

Das Berufsleben er forder t einige Umstellung – au ch bei der Kleidung. Der Berufseinstieg Lehrstelle gefunden? Herzlichen Glückwunsch und alles Gute für die Berufsausbildung! Mit dem Einstieg in einen Beruf ändert sich für junge Leute einiges. Sie müssen sich anpassen, Erwartungen erfüllen und mit Anforderungen zurechtkommen, auch wenn ihnen diese befremdlich, anstrengend oder schlichtweg wie eine Zumutung erscheinen. Auszubildende müssen sich mit unbekannten Menschen und neuen Aufgaben vertraut machen und sich innerhalb eines Betriebs, einer Firma oder eines Amtes zurechtfinden. Sie sind am unteren Ende einer Hierarchie angesiedelt und müssen sich erst langsam hocharbeiten. Anders als in der Schule wird von ihnen erwartet, dass sie die Autorität anderer respektieren und über deren Anweisungen nicht lange diskutieren. Auch was den allgemeinen Umgang betrifft, müssen junge Menschen im Beruf oft umdenken. Keine Lust, den Chef zu grüßen? Unangenehme Kunden pampig anreden? Keine Chance. Was im Schulalltag keine allzu unangenehmen Folgen hatte, kann im Berufsleben spürbare Konsequenzen haben. Auch bei der Kleidung müssen die Jugendlichen nun umdenken. Sicherheitsschuhe auf dem Bau, Einheitskleidung in den Arztpraxen, Uniformen in Hotels oder Gaststätten – ein gewisser Dresscode ist vielerorts vorgeschrieben. Jeans, tief ausgeschnittene Oberteile oder verwegene Frisuren sind selten gern gesehen. Bei all diesen Veränderungen ist es kein Wunder, wenn Ihre Tochter oder Ihr Sohn abends müde und abgespannt nach Hause kommt. Denn nicht nur das, was der Auszubildende lernen muss, ist anstrengend, sondern auch das „Drumherum“. Zeigen Sie darum gerade am Anfang der Berufsausbildung Verständnis für Ihre Große oder Ihren Großen und unterstützen Sie sie. Hören Sie ihnen zu, wenn sie von der Arbeit berichten und trösten Sie sie, wenn sie einmal frustriert nach Hause kommen. Übrigens: Jeder fünfte Auszubildende in Deutschland bricht seine Ausbildung vorzeitig ab, ein Drittel davon findet keine Anschlussausbildung. Wenn Ihr Kind also „hinschmeißen“ will, versuchen Sie gegenzusteuern. Motivieren und bestärken Sie Ihren 8

Ein Beitrag sollte sein, egal wie klein. Teenager, seine Ausbildung abzuschließen. Stellt sich jedoch heraus, dass er den falschen Beruf oder die falsche Firma gewählt hat, im Betrieb einfach nicht zurechtkommt oder in der Berufsschule überfordert ist, dann kann es durchaus richtig sein, sich umzuorientieren und seinen Ausbildungsplatz zu kündigen – vorausgesetzt man hat eine Anschlussperspektive. Geld abgeben oder nicht? Die Frage, ob Kinder mit eigenem Einkommen zu Hause etwas Geld abgeben sollten, ist in Familien umstritten. Wenn Sie selbst ein geringes Einkommen haben, können Sie von einem Kind, das noch bei Ihnen wohnt, auch einen Beitrag erwarten. Doch ist das auch nötig, wenn es in der Familie finanziell weniger knapp zugeht? Alle Jugendlichen müssen lernen, dass nichts vom Himmel fällt. Auch so selbstverständlich scheinende Dinge wie Essen und Wohnen müssen irgendwie bezahlt werden – und zwar nicht nur von den anderen. Deshalb tun Eltern ihren Kindern keinen Gefallen, wenn sie sie ganz selbstverständlich weiter kostenlos zu Hause wohnen, essen, das Telefon und später auch das Auto benutzen lassen und ihnen möglicherweise sogar noch Taschengeld zustecken. Jugendliche mit eigenem Einkommen sollten einen angemessenen Beitrag zum Familienunterhalt leisten. Durch diesen Beitrag zu Miete und Essen haben sie die Chance, Realitätssinn zu entwickeln und erwachsen zu werden. Der Umgang mit dem eigenen Geld ist ein großes Stück Selbstständigkeit und macht junge Menschen selbstbewusst. Sprechen Sie in der Familie darüber, wie viel jeder von Ihnen für die Gemeinschaft leisten kann. Es geht dabei nicht nur um Geld – auch die Aufgabenverteilung innerhalb der Familie sollte neu diskutiert werden. Wenn Sie den Beitrag Ihres Kindes nicht brauchen, können Sie seinen Anteil für später zurücklegen. Sohn oder Tochter werden über Erspartes froh sein, wenn sie sich eine eigene Wohnung einrichten oder ein Auto kaufen möchten. 9

Vier Wochen am Stü ck sind das Maximum. • • • Schule und Jobben Wer noch zur Schule geht, möchte oft sein Taschengeld aufbessern und etwas dazuverdienen. Laut Schätzungen von Experten arbeiten bundesweit etwa ein Drittel der Schüler der Mittel- und Oberstufe nebenbei. Grundsätzlich ist dagegen nichts einzuwenden. Manche Jugendliche möchten mehr Geld zum Shoppen haben oder wollen sich gelegentlich eine Kinokarte, eine CD oder ein Computerspiel leisten können. Sie suchen sich einen Job, mit dem sie wöchentlich ein paar Euro dazuverdienen können, etwa indem sie Prospekte oder Zeitungen austragen. Im Jugendarbeitsschutzgesetz ist genau geregelt, was und wie lange Kinder und Jugendliche arbeiten dürfen. Schüler ab 15 Jahren, die noch keine neun Schuljahre abgeleistet haben, dürfen bis zu zwei Stunden täglich (nur leichte Tätigkeiten) und in den Ferien bis zu vier Wochen arbeiten. Wenn sie bereits neun Schuljahre hinter sich haben, gilt diese zeitliche Einschränkung nicht mehr. Jugendliche ab 15 Jahren dürfen keine gefährlichen oder sehr anstrengenden Arbeiten (etwa im Akkord) ausführen, nicht mehr als acht Stunden am Tag und 40 Stunden in der Woche arbeiten, nicht vor sechs Uhr morgens und nach acht Uhr abends arbeiten. Was die Arbeitszeiten betrifft, gibt es allerdings bei vielen Tätigkeiten und Betriebssparten Ausnahmen. Ihr Sohn oder Ihre Tochter sollte ausrechnen, wie viel Zeit er oder sie entbehren kann. Denn schließlich sollte die Schule nicht unter dem Job leiden. Sie können Ihr Kind zum Arbeiten ermutigen, aber als Eltern auch Ihren Realitätssinn einbringen. Möchte Ihre Tochter wirklich jeden Samstag von morgens bis abends arbeiten? Sollte Ihr Sohn wirklich vier Wochen seiner Sommerferien opfern? Erfahrungsgemäß ist der Elan anfangs groß, weicht aber bald der Ernüchterung. Doch auch diese Erfahrung ist wertvoll und hilfreich. Durch die Arbeit wird Ihr Sohn oder Ihre Tochter möglicherweise eine andere Einstellung zum Geld bekommen. Wenn sie einen Tag lang hart gearbeitet haben und sich dann aus10

Prospekte ver teilen, Babysitten oder Hunde ausführen – es gibt viele Möglichkeiten. rechnen, wie viel (oder wenig) sie verdient haben, werden sie dieses Geld möglicherweise nicht so leichtfertig ausgeben. Und die fünf Euro, die die Oma ihren Enkeln gelegentlich zusteckt, werden auch mehr geachtet. Für Jugendliche, die nicht so gerne lernen und immer wieder einmal mit dem Gedanken spielen, die Schule abzubrechen, ist ein Ferienjob oft eine heilsame Erfahrung. Die Aussicht, sich sein Geld ein Leben lang so hart erarbeiten zu müssen, hat schon manchen faulen Schüler wieder zurück an den Schreibtisch gebracht und ihm oder ihr den Wert einer guten Ausbildung klar gemacht – besser, als alle elterlichen Ermahnungen das können. 11

• • • • Was Eltern nicht gefällt, f inden Jugendliche gerade gut . Wo trifft sich die Jugend? Geht Ihre Tochter neuerdings wieder auf den Spielplatz? Dann sicher nicht, weil sie immer noch so gerne schaukelt. Interessiert sich Ihr Sohn plötzlich für den öffentlichen Nahverkehr und setzt sich in Bushäuschen? Bestimmt nicht, weil er auf den nächsten Bus wartet ... Bushäuschen und auch Spielplätze sind bei Jugendlichen vor allem dann beliebt, wenn es keine anderen Treffpunkte gibt, wo sie miteinander Zeit verbringen können, wie etwa in Jugendzentren oder Freizeitheimen. Auch ausrangierte Bauwagen oder alte Schuppen sind als Jugendtreffpunkte sehr beliebt. Gerade das Inoffizielle, das Improvisierte hat für viele Jugendliche einen ganz besonderen Reiz. Viele Eltern sehen das mit Sorge. Dass sich Jugendliche gerne irgendwo draußen treffen, können Eltern ja noch akzeptieren – aber in einem Bauwagen? Wird da nicht vielleicht zu viel getrunken und geraucht? Kann es sein, dass sich die Jugendlichen dort auch leichtfertiger auf sexuelle Erfahrungen einlassen, weil sie nicht unter Beobachtung stehen? Diese elterlichen Sorgen sind durchaus nachvollziehbar. Sprechen Sie mit Ihrer Tochter, Ihrem Sohn darüber, was Sie beunruhigt. Welche Freunde, welche anderen Jugendlichen sind dort? Wie schätzt Ihr Sohn oder Ihre Tochter die Risiken ein, wenn er oder sie mit anderen in einem Schuppen feiert? An Treffpunkten im Freien sind Jugendliche durch die Öffentlichkeit um sie herum weniger gefährdet. Sollte etwas aus dem Ruder laufen, etwa wegen zu viel Alkohols oder Streitereien, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass jemand einschreitet oder die Polizei informiert. Sprechen Sie auch über Rücksichtnahme. Zigarettenkippen oder Glasscherben haben auf einem Spielplatz nichts verloren, auch lautes Geschrei oder Musik im Wohngebiet beeinträchtigt andere Menschen. Bieten Sie Alternativen an: Ihr Sohn oder Ihre Tochter könnte zu einer Garagenparty einladen oder ein Fest im Park oder am See organisieren. 12

• • • Sorgen Sie dafür, dass sich Freunde bei Ihnen wohlfühlen. Erlauben Sie es, dass Freunde mit nach Hause gebracht werden dürfen. Wenn sich die Teenies dort wohlfühlen, ist ein alter Bauwagen auch gar nicht mehr so interessant. Vielleicht gibt es im Haus einen Kellerraum, den die Jugendlichen für sich herrichten können. Auch in einem Mehrfamilienhaus ist das möglich, wenn man sich mit den anderen Mietern abspricht. Sie werden es nicht verhindern können, dass Ihr Kind sich an Treffpunkten aufhält, die Ihnen weniger zusagen. Appellieren Sie also an seine Vernunft. Fragen Sie auch, wie es Ihrem Kind mit der Situation geht, das heißt, ob es sich dort denn wirklich wohl und sicher fühlt, wo es mit den Freunden „abhängt“. © Si vonSasson / Pixabay.com Jugendzentren, Jugendtreffs, Jugendcafés Jugendzentren stehen allen Jugendlichen ab einem bestimmten Alter offen. Meistens gibt es dort eine Art Café und Spielmöglichkeiten wie etwa Tischtennis, Kicker oder Billard. Darüber hinaus werden Alternativen zum bloßen „Abhängen“ angeboten: Zum Beispiel stehen Jugenddisco, gemeinsames Kochen, Ferienprogramme oder Ausflüge auf dem Programm. Außerdem werden vielleicht Kurse wie Bewerbungstrainings, Fotoworkshops oder Selbstverteidigungskurse angeboten. Oft gibt es auch kulturelle Veranstaltungen wie Jugendtheater oder Rockkonzerte. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Jugendzentren sind in der Regel Sozialpädagogen, die auch ein offenes Ohr für Sorgen und Probleme der Jugendlichen haben und bei vielen Fragen kompetent weiterhelfen können. 13

• • • • Ihr Kind „spinnt“ nicht, es ruft nach Hilfe! Was ist eigentlich „Ritzen“? Ritzen ist besonders bei Jugendlichen und jungen Menschen ein häufig beobachtetes Phänomen. Von „Ritzen“ spricht man, wenn Jugendliche sich Selbstverletzungen mittels Rasierklingen, Messern, Scheren, Nadeln und Ähnlichem zufügen. Die Haut wird aufgeritzt oder aufgeschnitten, bis Blut austritt bzw. eine Wunde klafft. Die Narben werden meist verdeckt, manchmal auch immer wieder aufgeritzt, bis schwere Entzündungen und Hautkrankheiten entstehen. Medizin und Psychologie sehen im Ritzen keine eigenständige Krankheit, sondern ein Symptom für schwere seelische Belastungen. Oft sind unerträgliche innere Leere, Spannungszustände, Trauer oder (Selbst-)Hass Ursache für das selbstverletzende Verhalten. Es beginnt meist im Zusammenhang mit der Pubertät und kann bis ins Erwachsenenalter andauern. Betroffen sind hauptsächlich Mädchen. Ritzen ist ein Hilferuf, hinter dem sich auch traumatische Erfahrungen wie sexueller Missbrauch oder körperliche und seelische Gewalt verbergen können. Jugendliche, die sich selbst verletzen, fühlen sich in irgendeiner Weise vernachlässigt. Sie vermissen Zuwendung und Wertschätzung in ihrem Umfeld, bei Familie und Freunden. Sie erleben sich als Versager und bestrafen sich (teils unbewusst) dafür. Manche erzählen auch, dass sie sich erst durch die Schmerzen selbst wieder spüren können. Oft dauert es eine ganze Weile, bis Eltern das selbstverletzende Verhalten ihres Kindes bemerken. Wenn Sie herausfinden, dass Ihr Kind daran leidet, sind Sie sicherlich sehr bestürzt. Sie fühlen sich hilflos und haben Angst. Reagieren Sie nicht mit Panik, Vorwürfen oder Drohungen, sondern zeigen Sie Ihrem Kind, dass Sie es ernst nehmen, sich sorgen und ihm helfen wollen. Bewerten Sie das Verhalten Ihres Kindes nicht als „verrückt“ oder „krank“, sondern versuchen Sie zu verstehen, wie es dazu kommen konnte. Wenn Ihr Kind abblockt und jegliches Gespräch verweigert, schreiben Sie ihm einen Brief, in dem Sie Ihr Interesse und Ihre Zuwendung zusichern. Fragen Sie Ihr Kind, was Sie persönlich ändern können, damit sich etwas bessert. 14

Eine Therapie hilft Ihrem Kind mit seinen Problemen umzugehen. Auch wenn Sie sich verstärkt um Ihr Kind bemühen, wird sich sein Verhalten nicht einfach ändern. Eine Betroffene beschreibt es so: „Es ist wie eine Sucht, die man mithilfe von Therapien und mit viel Liebe und Zeit beheben kann. Angehörige müssen wissen, dass man nicht eklig ist, wenn man es macht! Dass man Liebe und Geborgenheit braucht statt Vorwürfe. Sie dürfen nicht in Panik ausbrechen, sondern müssen helfen!“ Wenn ritzende Jugendliche keine Hilfe bekommen, kann sich dieses Verhalten leicht verselbstständigen und wie eine Sucht immer schlimmer werden. Die Betroffenen kapseln sich zunehmend von den Gleichaltrigen und der Familie ab, werden innerlich immer distanzierter und einsamer. Deshalb sollten sie professionelle Hilfe suchen. Therapeutische Hilfe wird vielleicht zunächst stationär und später mit ambulanter Behandlung stattfinden. Die Therapie hat zum Ziel, dass Konflikte nicht mit dem Körper ausgetragen werden, sondern mit sich selbst und innerhalb der Familie. Dazu werden auch Sie als Eltern gebraucht. Das kann für alle Beteiligten ein sehr schmerzhafter Prozess sein. Stellen Sie sich ihm trotzdem, es lohnt sich. Wenn Ihr Kind sich nicht mehr selbst verletzen muss und sich die Beziehungen innerhalb der Familie verbessern, haben Sie gemeinsam etwas wirklich Großes erreicht. © Ulrike Mai / Pixabay.com 15

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