Elternbrief Nr. 20

Briefe B A Y E R I S C H E S L A N D E S J U G E N D A M T 20 INHALT 4 Jahre 8 Monate 1 Die neue Selbstständigkeit 3 Vorschulerziehung 5 Sag schön „Grüß Gott“! 7 Wo wohnt der liebe Gott? 10 Wann kommt der Nikolaus? 11 Die Patchwork- familie 13 Der volle Terminkalender 14 Freiräume schaffen 15 Wie viel Lärm darf sein? Kleiner Spatz, ganz groß Mit fast fünf Jahren hat Ihr Kind Riesenfortschritte ge- macht: Sein Wortschatz umfasst mittlerweile an die 1.500 Wörter. Es spricht in ganzen Sätzen, kann Fragen verste- hen und beantworten. Und je nach Temperament wird es unaufgefordert oder auf Nachfrage erzählen, was es tags- über erlebt hat. Es weiß seinen Namen und vielleicht auch seine Adresse. Es isst selbstständig und schmiert sich viel- leicht sogar schon sein Brot selber. Vielleicht traut sich Ihr Kind ja auch schon, allein zum Bäcker oder Briefkasten zu gehen. Falls Sie da selbst noch etwas unsicher sind, dürfen Sie auch heimlich hinterher- schleichen – aber lassen Sie sich nicht dabei erwischen! Ihr Kind wird immer selbstständiger. Das An- und Ausziehen geht schon recht gut. Mit etwas Unterstützung kann es auch schon die der Witterung entsprechenden Kleidungsstücke zusammenstellen. Und sehr wahrscheinlich weiß Ihr Kind auch, was genau es anziehen möchte. Ihr Kind kann Omas Nummer wählen und am Telefon kleine Nachrichten entgegennehmen. Es ist jetzt auch gerne mal ohne Sie mit seinen Freunden zusammen – vorausgesetzt, dass es mit der Familie, bei der es zu Besuch ist, vertraut ist und

Vom Kopffüßler zum Bu chstaben es sich gut aufgehoben fühlt. Hier reagieren Kinder oft recht unterschiedlich. Manche bleiben schon gerne beim besten Freund über Nacht, andere brauchen noch viel Zeit, bis sie so weit sind. Wenn Ihr Kind zeichnet, sind mittlerweile schon Figuren zu erkennen. Etwa ab dem dritten Lebensjahr sind die sogenannten Kopffüßler charakteristisch. Das sind Zeichnungen von Menschen, bei denen die Beine direkt unterhalb des Kopfes beginnen. Mit fünf kommen bekannte Dinge aus der gewohnten Umgebung dazu wie etwa Menschen, T iere, Häuser, Sonne, Wolken, Sterne, Bäume, Blumen sowie der eine oder andere Buchstabe. Bei Würfelspielen oder Memory wird es Ihrem Kind immer wichtiger, auch zu gewinnen. Es zeigt Ehrgeiz. Wenn es verliert, kann es sehr traurig, wütend oder entmutigt reagieren. Schon jetzt zeichnen sich seine Charaktereigenschaften, Interessen und besonderen Vorlieben ab. Schenken Sie Ihrem Kind Aufmerksamkeit und akzeptieren Sie es mit seinen Stärken und Schwächen. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Kind sich in einem Teilbereich sehr viel langsamer entwickelt als seine Altersgenos - sen, sprechen Sie mit dem Erzieher im Kindergarten oder der Kinderärztin. Ihr Kind ist schon eine richtige kleine Persönlichkeit geworden, auf die Sie stolz sein können! 2

Schnupper tag Grundschule in der Vorschulerziehung Im Jahr vor der Einschulung werden Kinder einmal pro Woche in Kleingruppen auf die Zeit nach dem Kindergarten vorbereitet. Es geht dabei nicht nur um Inhalte wie Zählen oder Schreibübungen. Die Kinder sollen vor allem befähigt werden, sich für längere Zeit auf eine Tätigkeit zu konzentrieren und dabei sitzen zu bleiben. Von einem künftigen Schulkind wird erwartet, dass es einen Stift oder eine Schere richtig halten, etwas ausmalen oder ausschneiden kann. In vielen Kindergärten werden zusätzlich Workshops angeboten. Das sind Nachmittage, an denen Eltern oder auch Fachleute den Kindern etwas vermitteln. Das können kleine naturwissenschaftliche Versuche sein oder ein Projekt zur Wetterbeobachtung. Oder Kinder und Erwachsene backen gemeinsam einen Kuchen. Die Zusammenarbeit von Kindergarten und Grundschule hat sich in den letzten Jahren deutlich verstärkt. So finden die Schuluntersuchungen in der Regel nicht mehr beim Schularzt im Gesundheitsamt, sondern direkt im Kindergarten statt. Außerdem dürfen die Vorschulkinder einen Vormittag lang in einer ersten Klasse am Schulunterricht teilnehmen. Die Eltern werden meist über den Kindergarten zu einem Elternabend in die Schule eingeladen. Sinnvoll ist die Zusammenarbeit zwischen Kindergarten, Schule und Verkehrspolizei in Sachen Verkehrserziehung. Ein Kindergartenkind wird ja auf seinem Weg noch von den Eltern begleitet. Das Schulkind aber soll nach kurzer Eingewöhnungszeit seinen Schulweg möglichst alleine gehen können. Dazu muss es lernen, sich verkehrssicher zu verhalten. Schon vor Schuleintritt sind Schule, Kindergarten und Verkehrspolizei bemüht, dies zu vermitteln. In den letzten Jahren gibt es vermehrt Angebote für Fremdsprachenunterricht in Kindergärten. Dieser wird oft von Instituten außerhalb des Kindergartens angeboten. Er kostet einen extra Beitrag, wird aber in den Räumen des Kindergartens abgehalten. Die Teilnahme ist freiwillig. Spielerisch werden die Kinder hier an den Klang einer neuen Sprache herangeführt und üben einzelne Wörter, kleine Sätze oder auch mal ein einfaches Liedchen. Da die kleinen Schüler jedoch in 3

Dinge ausprobieren dür fen Zusammen mit an erhält die Freude am Lernen! deren © Mojca JJ / Pixabay.com aller Regel nicht lesen und schreiben können, bleibt es doch weitgehend eine spielerische Veranstaltung. Das Sprachgefühl wird wohl unterstützt, aber es werden keine Kenntnisse vermittelt, die für den späteren Sprachunterricht notwendig sind. Kinder lernen grundsätzlich gerne. Wenn Ihr Kind im Kindergarten erleben darf, dass Neugier willkommen ist, und wenn es gelernt hat, sich die Welt fragend und forschend anzueignen, dann ist der Grundstein für eine glückliche Schulzeit gelegt. 4

Ein Sag schön „Grüß Gott“! Höflichkeit ist eine Frage des Respekts anderen gegenüber. Sie ist nicht angeboren, sondern muss frühzeitig eingeübt werden. Wann aber ist der richtige Zeitpunkt, bei Kindern auf gutes Benehmen zu achten – und was kann man von Fünfjährigen überhaupt erwarten? Grüßen Heute ist es nicht mehr üblich, dass Kinder die Menschen in ihrem Umfeld mit Handschlag begrüßen. Ein einfaches „Hallo, Frau XY“ oder „Tschüss, Herr Soundso“ reicht meist aus. Dennoch kann es manchmal angemessen sein, die Hand zu geben. Seien Sie Ihrem Kind ein gutes Vorbild, indem Sie freundlich auf Ihre Mitmenschen zugehen und Ihr Kind dabei mit einbeziehen. Übrigens, ein Küsschen sollte Ihr Kind nur von sich aus geben. Fordern Sie es nicht dazu auf. Danke sagen Kinder vergessen gern einmal, jemandem Danke zu sagen. Wenn das passiert, sollten Sie sich stellvertretend bedanken. Dann wird sich Ihr Kind vielleicht das nächste Mal daran erinnern. Stellen Sie es jedoch in der betreffenden Situation nicht bloß („Wie sagt man?“). Unter vier Augen können Sie später mit Ihrem Kind darüber sprechen, dass andere Menschen sich über ein Dankeschön oder auch eine nette Begrüßung freuen, und dass manche sogar verärgert sind, wenn man es vergisst. Tischmanieren Mit Besteck zu essen ist für kleinere Kinder noch nicht so leicht. Dennoch sollte es geübt werden. Zu strenger Drill jedoch kann Ihrem Kind den Appetit bei Tisch verderben. An ein paar einfache Regeln kann ein Kind sich schon halten: Ein Kind sollte bei Tisch sitzen bleiben, bis es fertig gegessen hat. Dann darf es fragen, ob es aufstehen kann. Bei mehreren Geschwistern ist es sinnvoll, dass ein Kind auf die anderen Kinder wartet und dann alle gemeinsam aufstehen. Kind sollte bestimmen dürfen, wie viel es essen möchte. Laden Sie den Teller nicht zu voll, damit nicht so viel übrig bleibt. In vielen Familien gilt die Regel, dass alles wenigstens einmal probiert werden sollte, bevor man es ablehnt. 5

Ihr Seien Sie ein gutes Vorbild! Erlauben Sie Ihrem Kind nicht, mit dem Essen herumzuspielen oder es den anderen madig zu machen („Igitt, was ist das denn?“). Kind sollte nicht mit vollem Mund sprechen, sondern zuerst fertig kauen und dann sprechen. Welche Umgangsformen ein Kind lernen sollte, ist natürlich in jeder Familie verschieden. Überlegen Sie, was Ihnen wichtig ist und seien Sie darin Ihrem Kind ein gutes Vorbild. Berücksichtigen Sie das Temperament Ihres Kindes: Ist es vielleicht ein kleiner Draufgänger, der das Grüßen einfach mal vergisst? Ist es manchmal nur zu verträumt, um sich zu erinnern, dass es sich bedanken sollte? Oder ist es so schüchtern, dass es fremden Menschen gegenüber nur schwer ein Wort herausbekommt? Wenn Ihr Kind sich mit diesen Dingen noch schwertut, dann sicher nicht, um Sie zu ärgern. Seien Sie mit ihm also nicht zu streng. Wenn Sie selbst nicht so viel Wert auf Umgangsformen legen, bedenken Sie allerdings auch, dass Ihr Kind nicht nur mit lockeren Menschen wie Ihnen zu tun hat, sondern auch mit Leuten zurechtkommen muss, die eine etwas andere Auffassung von Höflichkeit haben. Es liegt also im Interesse Ihres Kindes zu lernen, wie es andere mit seinem Verhalten nicht vor den Kopf stößt. Mit zu viel Drill erreichen Sie allerdings auch nicht viel – im Gegenteil: Dann kann es geschehen, dass ein Kind sich in Sachen Höflichkeit vollständig verweigert. 6

Taufen oder nicht? Diese Frage stellt sich vielen Eltern. Wo wohnt der liebe Gott? Mittlerweile spricht Ihr Kind mit Ihnen „über Gott und die Welt“. Vielleicht stellt es Ihnen auch Fragen, die Sie für sich selbst noch nicht beantwortet haben: Warum müssen Menschen sterben? Was passiert dann mit ihnen? – Was ist in der Kirche? Wohnt da der liebe Gott? – Wer hat die Blumen gemacht? Fragen von Kindern nach dem Sinn des Lebens konfrontieren ihre Eltern oftmals mit Themen, die sie für sich selbst noch nicht so ganz geklärt haben. Viele Menschen stehen religiösen Fragen mit einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber. Wir erleben heute einen weitgehenden Rückgang des kirchlichen Einflusses auf unser Alltagsleben. Dennoch sind die wenigsten Menschen in unserer Gesellschaft erklärte Atheisten. Und so stehen Eltern heute oftmals vor dem Dilemma, den Kindern etwas mit- geben zu wollen, das sie selbst nur teilweise in sich tragen: Vertrauen in Gott und das Leben, die Geborgenheit in einer religiösen Gemeinschaft, Werte wie Nächstenliebe und Verantwortung. Natürlich kann manches davon auch ohne die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft ge - lebt werden. Dennoch stellt sich Eltern bereits früh die Frage, ob ihr Kind etwa mit der Taufe in die christliche Kirche aufgenommen werden oder am religiösen Leben einer andersgläubigen Gemeinde teilnehmen soll. © Ben Kerckx /Pixabay.com 7

Seien Sie respektvoll! Hören Sie die Fragen Ihres Kindes geSie als Eltern haben das vielleicht schon für Ihr Kind entschieden oder aber Sie haben beschlossen, die Entscheidung zu vertagen. Im Alltag stellt sich Ihnen die Frage trotzdem immer wieder neu: Möchten Sie mit Ihrem Kind beim Zu-Bett-Bringen vielleicht ein Abendgebet sprechen? Können Sie ihm erklären, dass Gott es genau so gewollt hat und liebt, wie es ist? Möchten Sie mit ihm die kirchlichen Feste feiern und ihm auch den religiösen Hintergrund von Ostern und Weihnachten oder auch den des islamischen Zuckerfestes erklären? Für Eltern, die ihren Glauben praktizieren, ist dies kein Problem. Ihre Kinder wachsen in den Glauben hinein, indem sie die Eltern begleiten und an deren religiösem Leben teilnehmen. Diese Eltern können ihren Kindern mit innerster Überzeugung Antworten auf ihre Fragen geben. Aber was ist mit Eltern, die den traditionellen Formen von Religiosität kritisch gegenüberstehen? Die ihren Kindern aber den Zugang zu religiösen Erfahrungen nicht verstellen wollen? Wie können Sie der Religion in Ihrer Erziehung Raum geben und den Bedürfnissen Ihres Kindes gerecht werden? duldig an und nehmen Sie sie ernst. Werten Sie seine religiösen Bedürfnisse und die Religion niemals ab. Der Glaube an Gott, so kindlich er auch sein mag, ist für Ihr Kind ein bedeutsames Stück innerer Wirklichkeit. Begleiten Sie Ihr Kind auf seiner Suche! Wenn Ihr Kind beispielsweise mit Ihnen beten will, dann weisen Sie es nicht ab. Es sucht damit eine persönliche Beziehung zu einer unbegrenzt starken Bezugsperson und es möchte dabei von Ihnen unterstützt werden. Seien Sie neugierig! Lassen Sie sich von Ihrem Kind erzählen, was es glaubt. Ihr Kind lernt dabei, über sich selbst und seine Alltagswelt hinaus zu denken und größere Zusammenhänge herzustellen. Seien Sie offen und ehrlich! Wenn Sie auf Fragen Ihres Kindes keine Antwort wissen oder wenn Sie Zweifel an bestimmten Glaubensinhalten haben, dürfen Sie das ruhig zugeben. Sie können dann gemeinsam mit Ihrem Kind nach Antworten suchen. 8

Lassen Sie sich herausfordern! Möglicherweise haben Sie sich seit Ihrer Kindheit nicht mehr bewusst mit religiösen Fragen auseinandergesetzt. Sie leben jedoch vermutlich nach den ethischen Grundsätzen und Werten, die Ihnen von Ihrer christlich, jüdisch oder muslimisch geprägten Kultur vorgegeben wurden. Und diese wollen Sie auch an Ihr Kind weitergeben. Herausgefordert durch die Fragen Ihres Kindes könnten Sie sich danach erkundigen, welche Angebote und Antworten die Religionsgemeinschaften dazu geben können. Kinder fra zwingen uns zu denken. gen m Nach Gerade für die Entwicklung von Gewissen und Verantwortungsgefühl kann religiöse Erziehung – durchaus in einem offenen Sinn – eine wichtige Grundlage sein. Religiöse Erziehung sollte darüber hinaus Geborgenheit, Zuversicht und das Gefühl, bedingungslos geliebt zu werden, vermitteln. Wenn Sie zu den Eltern zählen, für die Religion einen sehr hohen Stellenwert hat, sollten Sie sich ebenfalls mit den Fragen Ihrer Kinder befassen. Gerade wenn man meint, sehr viel Klarheit zu haben, kann man die Bedürfnisse seiner Kinder auch aus den Augen verlieren. Eine sehr strenge Religiosität kann Kinder daran hindern, eine eigenständige Persönlichkeit zu entwickeln. Suchen Sie darum den Kontakt zu anderen Eltern und schauen Sie, wie Erziehung in anderen Familien funktioniert. Orientieren Sie sich nicht nur an Ihrem Glauben, sondern auch an der Lebenswirklichkeit Ihrer Kinder und lassen Sie sie nicht zu Außenseitern werden. Eine der Welt zugewandte, liebevolle und kindgerechte Erziehung hilft Ihrem Kind, sich gut zu entwickeln. 9

Fantasiewesen e haben für Ihr Kind eine besonder Bedeutung. Wann kommt der Nikolaus? Kommt im Advent der Nikolaus zu Ihrem Kind? Versteckt bei Ihnen der Osterhase die Eier? Und holt nachts die Zahnfee die Milchzähne ihres Kindes ab? Moderne Eltern haben manchmal Probleme damit, ihrem Kind vermeintlich „etwas vorzumachen“. Sie gehen rational an die Sache heran und lassen Nikolaus, Osterhase oder Zahnfee keinen Raum in der Familie. Bruno Bettelheim, ein bekannter Psychoanalytiker und Buchautor („Kinder brauchen Märchen“) bricht eine Lanze für Fantasiefiguren. Grund dafür ist, dass Kinder zwischen zwei und sechs Jahren sich in ihrer magischen Phase befinden. Die Magie eines schenkenden Wesens gibt den Feiertagen einen Zauber, der Kinder glücklich und stark macht. Zudem ist es für Kinder sehr viel besonderer, Geschenke von einem überirdischen Wesen zu bekommen als von seinen Eltern. Dem Osterhasen müssen sie auch nicht dankbar sein. Selbst wenn gerade der Haussegen schief hängt, weil man „blöde Mama“ gesagt hat, kann man die Geschenke des Christkinds ohne schlechtes Gewissen annehmen. Kinder, denen zu früh der Glaube an diese besonderen Wesen genommen wird, hören nicht etwa auf, an sie zu glauben. Sie denken eher, dass der echte Nikolaus zu allen anderen Kindern kommt, nur nicht zu ihnen, und sind traurig. Ihr Kind wird das magische Denken aufgeben, wenn es mehr Erfahrungen in der Wirklichkeit gesammelt hat. Es wird sich von sich aus von den Zauberfiguren seiner Kindheit lösen. Eltern und Kinder scherzen danach oftmals noch darüber und tun so, als gäbe es sie doch – die schönen Vorstellungen werden so noch einmal kurz aus der Erinnerung hervorgeholt und neu belebt. Damit gelingt auch der sanfte Abschied von der kindlichen Fantasiewelt. Die warmen Empfindungen aus dieser Zeit jedoch wird Ihr Kind mitnehmen. Später können genau diese ihm helfen, das reale Leben besser zu meistern. Vielleicht ist Ihnen dennoch unbehaglich bei der Vorstellung, Ihrem Kind Geschichten zu erzählen, die aus Ihrer Sicht nicht wahr sind. Das müssen Sie auch nicht, wenn Sie nicht wollen. Aber Sie müssen auch nicht aktiv versuchen, die kindlichen Vorstellungen zu korrigieren. 10

Für alle Kinder gelten dieselben Regeln. Die Patchworkfamilie Das Leben in einer Patchworkfamilie ist ziemlich komplex, denn beide Partner haben eigene Kinder mit in die neue Beziehung gebracht. Manchmal gibt es noch ein oder mehrere gemeinsame Kinder in der Familie, manchmal kommen die Kinder aus der früheren Beziehung auch nur am Wochenende und in den Ferien zu Besuch. Wenn zwei Menschen, die bereits Kinder haben, zusammenziehen, ist das für diese Kinder nicht immer einfach. Ihre Position im Familiengefüge ändert sich: Das Einzelkind muss sich plötzlich mit anderen Kindern arrangieren, das älteste Kind bekommt vielleicht noch ältere Konkurrenz: Den gewohnten Platz gibt es nicht mehr, die bisherige Rolle in der Familie wird eine andere. Wenn am Wochenende Kinder zu Besuch kommen, die die Woche über beim Ex-Partner leben, bringt das viel Unruhe in die Familie. Wichtig ist, dass auch sie einen angemessenen Platz in der Wohnung und in der Familie bekommen und sich nicht als „Kinder zweiter Klasse“ fühlen müssen. Für die Kinder, die immer da sind, sind diese Besuche ebenfalls eine Herausforderung: Sie müssen Platz machen, ihre Spielsachen und auch die Aufmerksamkeit der Erwachsenen teilen. Wichtig ist, dass für alle Kinder die gleichen Regeln gelten. Was brauchen Sie, damit eine Patchworkfamilie gelingen kann? Toleranz Bedenken Sie, jedes Kind bringt seine eigene Geschichte mit und seine eigenen Ideen von dem, was „Familie“ ist. Auch der jeweils andere Elternteil und die Großeltern haben noch Einfluss. Erwarten Sie also nicht, dass das Kind Ihres Partners genauso erzogen ist, wie Sie das erwarten. Geduld Wenn Sie damit gerechnet haben, dass alles wie am Schnürchen klappen wird,die Kinder sich verstehen und Sie alle gut miteinander auskommen werden, werden Sie anfangs vielleicht enttäuscht sein. Eine Patchworkfamilie braucht etwa fünf Jahre, um zusammenzuwachsen. Klare Regeln Einigen Sie sich darauf, welche Regeln für alle Kinder gelten und wo man – entsprechend dem Alter der Kinder – Unterschiede gelten lassen muss. Vereinba11

Mit Zeit und wächst die neue viel Toleranz zusammen. Familie © silviarita / Pixabay.com ren Sie auch, wer wen erzieht, also welche Erziehungsaufgaben Sie den Kindern Ihres Partners gegenüber haben – und er gegenüber Ihren. Konfliktfähigkeit Gelegentlich überträgt sich die Konkurrenz der Kinder auch auf die Eltern und es kommt zum Streit, weil Sie das Gefühl haben, dass Ihr Kind zu kurz kommt oder von den anderen Kindern schlecht behandelt wird. Sprechen Sie offen über Ihre Gefühle, aber seien Sie sich bewusst, dass man, wenn es um das eigene Kind geht, niemals ganz unparteiisch sein kann. Offenheit Akzeptieren Sie, dass Ihnen Ihr eigenes Kind immer näher stehen wird. Pflegen Sie diese besondere Beziehung, unternehmen Sie, wenn möglich, auch noch gelegentlich alleine etwas mit Ihrem Kind. Aber versuchen Sie in jedem Fall, auch die Kinder Ihres Partners, Ihrer Partnerin zu akzeptieren, mit ihren Eigenarten auch zu mögen und freundlich mit ihnen umzugehen. Ein Betroffener hat den Satz geprägt: „Früher gab es die kinderreichen Eltern. Heute haben wir elternreiche Kinder.“ In der Tat haben Kinder, die in Patchworkfamilien leben, sehr viel mehr Bezugspersonen: die neuen Partner ihrer Eltern, Stiefgeschwister, sogar „neue“ Großeltern, Onkel und Tanten. Sie haben gelernt, sich in bislang ungewohnte Situationen hineinzufinden, sich aktiv auseinanderzusetzen, neue Rollen einzunehmen und in verschiedenen Lebenswelten zurechtzukommen. So entwickeln Kinder aus Patchworkfamilien oft eine deutlich höhere Sozialkompetenz als andere Kinder. Diese Sozialkompetenz sowie Toleranz und Offenheit können eine Patchworkfamilie zu einem Ort machen, an dem Kinder glücklich groß werden. 12

Kinder brau chen unverplante Zeit, in der sie von niemand „bespaßt“ werden. Der volle Terminkalender Mit dem Kindergarten halten auch neue Freizeitgestaltungen und Hobbys Einzug in den Familienalltag. Die einen gehen in die musische Früherziehung, andere ins Kinderturnen oder Ballett. Wieder andere machen einen Englischkurs oder gehen zum Malen oder Töpfern. Und manche machen alles zusammen. Wenn Sie selbst gerne malen, töpfern oder musizieren, können Sie Ihr Wissen selbst weitergeben, denn ein Kindergartenkind braucht jetzt noch keine hochprofessionelle Anleitung, um kreativ zu sein. Es ist schön, wenn Ihr Kind schon ein Hobby hat oder eine besondere Vorliebe für eine Sportart entwickelt. Doch achten Sie darauf, dass sich Ihr Kind nicht überfordert. Die Zeit im Kindergarten ist für Ihr Kleines anstrengend. Es muss sich den ganzen Tag in eine Gruppe einfügen, ständig ist es mit Spiel- oder Lernaktivitäten beansprucht. Im Grunde genommen ist der Kindergarten der „Arbeitsplatz“ Ihres Kindes. Deshalb ist es wichtig, die restliche Zeit nicht mit einem Freizeitprogramm zu überfrachten. Ihr Kind braucht auch Ruhephasen, um die vielen neuen Eindrücke des Tages verarbeiten zu können. Auszeiten sind wichtig, um neue Kraft zu schöpfen. Achten Sie auf Ihr Kind, vielleicht möchte es nach dem Kindergarten einfach ganz ruhig in der Ecke sitzen und ein Bild malen oder ein Puzzle legen. Kinder brauchen unverplante Zeit. Und sie brauchen Zeit mit ihren Eltern. Nehmen Sie sich die Zeit mit Ihrem Kind – ohne Termindruck. Kuscheln Sie sich gemeinsam auf die Couch und lesen ein Kinderbuch. Spielen Sie mit Ihrem Kind, hören Sie ihm zu. Gerade weil Kinder heutzutage so viel außer Haus sind, ist diese gemeinsame Zeit wichtig – für Ihr Kind und für Sie. 13

Nachmittags dar f au ch ruhig mal nichts auf dem Programm stehen. Freiräume schaffen Um unnötigen Stress für Ihr Kind zu vermeiden, sollten Sie versuchen, Ihren Alltag zu entzerren. Ihr Kind versäumt nichts, wenn es nicht jeden Tag eine andere Aktivität außer Haus verfolgt. Im Gegenteil, durch ein ständiges Programm verlernt es, sich selbst zu beschäftigen und langweilt sich in den vermeintlichen „Leerlaufphasen“. So machen Sie den Alltag entpannter: Terminkalender Der Terminkalender Ihres Kind sollte überschaubar bleiben. Ein oder maximal zwei Aktivitäten pro Woche sind für vier- bis sechsjährige Kinder nach dem Kindergarten völlig ausreichend. Essenszeiten Gemeinsame Mahlzeiten in der Familie sind wichtig. Hier ist der Ort, wo sich die Familie trifft und austauscht. Kinder brauchen feste Rituale, die gemeinsamen Mahlzeiten gehören dazu. Ruhepausen Gönnen Sie Ihrem Kind am Nachmittag eine Pause. Es braucht kein tägliches Unterhaltungsprogramm. Vielleicht möchte es sich ein bisschen hinlegen oder alleine oder mit Ihnen spielen. Medienfreie Zeit Freie Zeit sollte nicht vor dem Fernseher verbracht werden. Der Tag Ihres Kindes ist ohnehin angefüllt mit Eindrücken, die es erst einmal verarbeiten muss. Stressfreie Zeit Nehmen Sie den Druck heraus. Lassen Sie Ihr Kind ruhig einmal trödeln oder langsam sein. Auch wenn es Ihnen umständlich vorkommt, Ihr Kind hat seine eigene Art und sein eigenes Tempo, Dinge zu tun. Stille Schalten Sie einfach gelegentlich alle Geräte ab. Kein Radio, kein Fernseher, keine Waschmaschine, Sie werden sehen, wie ruhig es plötzlich ist. Ziehen Sie sich mit Ihrem Kind in die Kuschelecke zurück und genießen Sie die Stille. 14

Rü cksichtnahme ist den Großen UND den Kleinen zuzumuten! Wie viel Lärm darf sein? Kinder bewegen sich, spielen und machen Krach. Ab wann sie dabei zu laut sind, ist Ansichtssache. Während Sie es für normal halten, dass Ihre Kinder lachen und schreien, bringt es andere vielleicht zur Weißglut. Normal ist es auch, dass Ihr Kind durch die Wohnung rennt oder aus Versehen seine Legokiste umwirft. Aber was sagt der Nachbar in der Wohnung darunter dazu? Wenn Sie Ärger mit den Nachbarn haben, sollten Sie zunächst das persönliche Gespräch suchen. So lassen sich vielleicht Missverständnisse aus der Welt schaffen. Lassen Sie Ihr Kind ruhig mit dabei sein. Vielleicht stimmt es die Nachbarn ja milder, wenn sie wissen, wer da eigentlich hin und wieder Krach macht. Schwierig wird es allerdings, wenn es keine gütliche Einigung gibt. Dann sollten Sie sich informieren. Nachfragen können Sie bei den Kinder- und Jugendbeauftragten in Ihrer Stadt oder Gemeinde oder dem örtlichen Mieterverein. Diese Stellen können Sie auf Gerichtsurteile aufmerksam machen und Ihnen Argumentationshilfen liefern. Grundsätzlich ist Kinderlärm allen Menschen zumutbar. Das Oberverwaltungsgericht Münster formulierte es so: „Wer Kinderlärm als lästig empfindet, hat selbst eine falsche Einstellung zu Kindern.“ Andererseits sollten Erwachsene und Kinder – soweit möglich – aufeinander Rücksicht nehmen. Kinderlärm Was ist erlaubt? Kinder dürfen auch in den Ruhezeiten spielen, lachen und schreien. Im Hof sind Kinderlärm und Ballspielen dann erlaubt, wenn kein Spielplatz in der Nähe ist. Beim Musizieren dürfen die Nachbarn nicht übermäßig gestört werden. Hier sind die Ruhezeiten einzuhalten (22 Uhr bis 7 Uhr, oft auch mittags). Das gilt auch für Bobbycars und andere geräuschvolle Spielzeuge. Was ist nicht erlaubt? Lautes Spielen im Hof, wenn es in der Nähe einen Spieloder Bolzplatz gibt, ist nicht gestattet. Ebensowenig das Herumtoben in der Wohnung während der Ruhezeiten. Auch Spielen in Treppenhaus, Aufzug oder Tiefgarage ist nicht erlaubt. 15

B A Y E R I S C H E S L A N D E S J U G E N D A M T Weitere Informationen: Die Elternbriefe können Sie auch online lesen, herunterladen oder als Newsletter abonnieren: beim OnlineRatgeber „BAER“, www.baer.bayern.de, des Bayerischen Landesjugendamtes. Dort finden Sie auch weitere ausführliche Informationen zu vielen der hier genannten Themen. Lärmbelästigung Die Münchner Kinderbeauftragte hat Informationsmaterial zusammengestellt. Verhaltenstipps und Argumentationshilfen finden Sie unter: www.muenchen.de/kinderbeauftragte Im nächsten Elternbrief: – Spiel und Spaß in der Familie – Lernen im Kindergarten: Mathematik und Naturwissenschaften – Familie hat viele Gesichter: Die Einkindfamilie – Schüchterne Kinder – Wie sieht‘s denn hier aus? Aufräumen und Ordnung – Der Zahnwechsel – Die Zahnfee – Die Vorsorgeuntersuchung U9 Die Elternbriefe werden gefördert durch: 20 Herausgegeben vom Zentrum Bayern Familie und Soziales – Bayerisches Landesjugendamt (BLJA) V.i.S.d.P.: Hans Reinfelder Postanschrift: Postfach 400260 80702 München www.blja.bayern.de Überreicht durch Ihr Jugendamt Illustrationen: Birgit Baude, München – Druck: MKL Druck © Bayerisches Landesjugendamt, Stand: Januar 2022 ISBN 3-935960-23-9 Artikelnummer: 10202120

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